Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
beherrschte wie kein anderer«, ergänzte di Credi mit einem etwas gequälten Lächeln. »Der Meister verlangt seinen Auftraggebern manchmal viel Geduld ab, aber dafür werden sie auch reich belohnt.«
Leonardo ignorierte Giocondo und blickte stumm auf dessen Frau. Sie stand stocksteif und mit gesenktem Kopf da und umklammerte den rechten Ellbogen ihres Gatten, als müsse sie Halt suchen. Nach der herrschenden Mode war sie sehr dunkel gekleidet, als sei sie in Trauer. Ihr schwarzes Haar, das dünn bis auf die Schultern fiel, unterstrich diesen Eindruck, und auch ihre Augen waren dunkel, wie Leonardo sah, als sie den Blick hob. Eine elegante Frau, wie sollte man es von einem Händler in Seide und Tuch auch anders erwarten, dachte er gallig. Ihn wunderte nur, dass die Dame so verkrampft war, wo ihr Gesichtsausdruck doch zu sagen schien, dass sie das alles hier nicht sonderlich interessierte.
Leonardo nahm seine Brille ab und putzte die Gläser mit einem feinen Tüchlein, das er eigens dafür immer bei sich trug. Er deutete mit der Brille auf das nach Norden hinausgehende Fenster. »Würden Sie mir den Gefallen tun und sich einmal dort ins Licht stellen, Madonna Giocondo?«
Sie ließ den Arm ihres Gatten los und tat, worum Leonardo sie gebeten hatte, während dieser seine Brille wieder aufsetzte und die Dame aus einigen Schritten Entfernung nachdenklich betrachtete. »Würden Sie bitte einmal die Hände übereinanderlegen, etwa in Höhe der Taille?«
Keine schönen Hände, stellte er fest. Zu breit, zu kurze Finger. Aber das ließ sich korrigieren. Er dachte an die prachtvollen Hände der Marchesa d’Este. Ein größeres Problem war Lisas nichtssagender Gesichtsausdruck.
»Ich werde noch mehr Zeit benötigen, um Ihre Gemahlin zu studieren«, sagte er zu Giocondo.
»Das verstehe ich nicht«, entgegnete dieser. »Wozu ist es so wichtig, dass Sie…«
»Wenn Sie ein Bild von einer Maske möchten, bitte. Es gibt noch andere Meister.«
Giocondo nickte erbost. »Ich denke, ich habe verstanden. Noch einen guten Tag, Meister di Credi.« Er fasste Lisa beim Arm und zog sie mit hinaus, ohne Leonardo noch eines Blickes zu würdigen.
»Du warst einmal liebenswürdiger«, sagte di Credi, als die beiden fort waren.
»Nicht jeder verdient meine Liebenswürdigkeit.«
»Du kennst Giocondo doch gar nicht.«
»Leute, die immer die Nase oben haben, als sei nur Abschaum um sie herum, können mir gestohlen bleiben!«
»Und die arme Lisa gefällt dir auch nicht.«
»Hm…« Darüber war sich Leonardo noch nicht ganz im Klaren. »Entweder besitzt sie keine Persönlichkeit, oder sie versteckt sie gut. Angesichts der Aufgeblasenheit ihres Gatten bin ich geneigt, von Letzterem auszugehen.«
»Findest du sie attraktiv?«
»Rein äußerlich nicht, aber wahre Schönheit schlummert unter der Haut. Manchmal lohnt sich die Mühe, danach zu suchen.«
»Die Chance dürftest du vertan haben.«
Leonardo schmunzelte. »Reiche Leute wollen immer nur das Beste. Giocondo wird schon wiederkommen.«
»Früher warst du nicht nur liebenswürdiger, sondern auch bescheidener.«
Leonardo nickte. »Das habe ich mir mühsam abgewöhnt.«
Giocondo betrat die Werkstatt vorerst nicht mehr, aber er brachte Lisa bis vor die Tür.
»Sag ihr, ich bin nicht da und du weißt nicht, wann ich wieder zurück sein werde«, sagte Leonardo zu di Credi, als dieser ihm seinen Besuch meldete. Leonardo hatte sich vorläufig in einem Zimmer eingerichtet, das frei geworden war, weil di Credi einen Gesellen hinausgeworfen hatte. Hier saß er und schrieb.
Di Credi seufzte. »Muss denn das sein?«
»Ihr werter Gatte scheint es für selbstverständlich zu halten, dass ich hier sitze und auf ihn warte. Nun, dem ist nicht so.«
Der nächste Besuch Lisas wurde zwei Tage im Voraus von einem Kurier angekündigt.
»Ist es jetzt genehm?«, fragte di Credi ironisch.
Leonardo nickte. »Seide und Tuch, nicht? Na gut, dann werde ich sie empfangen, denn ich kann ein paar neue Kleider gebrauchen, um dem Expansionsdrang meines Körpers zu entsprechen.«
Lisa überraschte ihn mit einem breiten Lächeln, als er sie nun zum zweiten Mal sah. Ohne ihren Gemahl schien sie eine ganz andere Frau zu sein.
»Sie haben Francesco ziemlich aufgebracht«, sagte sie, als Leonardo sie an seinen Arbeitsplatz geführt hatte.
»Das ist gut.« Er bot ihr einen Stuhl an. »Ich habe schon zu viel erlebt, als dass ich noch nach der Pfeife eines…« Er unterbrach sich. »Verzeihen Sie. Das hat
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