Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Gedanken zu machen, wie diese Worte womöglich bei ihm ankamen. »Es ist so viel geschehen, Gutes und Schlechtes. Na ja, Gutes vielleicht weniger…«
» Dimmi , wie geht es…«, Leonardo musste kurz nachdenken, bevor er auf den Namen kam, »Antonio?«
»Von dem heldenhaften Soldaten von einst ist nicht viel übriggeblieben.« Caterina klang nicht verächtlich, über das Stadium, da sie derlei noch bekümmert hätte, war sie offenbar hinaus.
Leonardo schaute sich kurz um. »Ist er nicht zu Hause?«
Caterina schüttelte den Kopf. »Er ist in der Mühle.«
»Oliven?«
Seine Mutter nickte. »Geerbt, vor zehn Jahren. Wir können davon leben, wenngleich immer mehr Bauern ihr Öl selbst pressen.« Ihre blassen Augen fixierten Leonardo. »Und du?«
»Ich male und zeichne, ich habe eine eigene bottega .«
»Da kannst du doch stolz sein! Aber du klingst nicht so.«
Nein, dachte Leonardo, ich bin auch nicht stolz. Obwohl er davon leben konnte, wie Caterina es gerade ausgedrückt hatte. Aber ihn bedrückte in wachsendem Maße das Empfinden, dass er nur mit halber Kraft lebte, dass er seine Talente auf Lappalien verschwendete und kein Mensch sich an ihn erinnern würde, wenn er jetzt tot umfiele. Ihm fehlte etwas in seinem Leben, ein zentraler Antrieb, die Motivation, Neues in Angriff zu nehmen, seine Arbeiten zu perfektionieren und vor allem auch zu vollenden.
»Ich habe dir etwas mitgebracht.« Er wickelte die kleine Tafel, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, aus ihrer Tuchhülle und gab sie Caterina. Es war eine Silberstiftzeichnung von einem fliegenden Milan.
Caterina starrte eine ganze Weile auf das dynamische Bild, bevor sie sagte: »Irgendwie ist mir, als müsse mich das an etwas erinnern, aber ich komme nicht darauf.«
»Es ist einfach nur ein Milan, davon gibt es hier ja wirklich viele.«
»Schön.« Sie legte die Tafel auf den Küchentisch. »Möchtest du etwas trinken?«
»Wasser. Vom Reiten bekomme ich immer eine trockene Kehle.«
Während Caterina einen Becher holte, fragte sie: »Und was macht dein Vater? Ich hörte, dass er ein weiteres Mal so ein junges Ding geheiratet hat.«
Leonardo starrte auf Caterinas gekrümmten Rücken. »Du hast Ser Piero also noch nicht vergessen?«
»Er scheint die Frauen abzulegen wie Kleidungsstücke. Erst prahlt er mit ihnen, und wenn sich der Reiz des Neuen abgenutzt hat, wirft er sie weg.«
»Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen.«
Caterina stellte das Wasser vor Leonardo auf den Tisch. »Seltsam, aber das erstaunt mich gar nicht.« Sie setzte sich wieder.
»Es ist nicht allein seine Schuld.« Leonardo fragte sich im gleichen Atemzug, wieso er seinen Vater verteidigte.
Caterina nickte. »Dein Interesse an mir ist ja auch nicht der Rede wert.«
Du hast mich weggegeben wie ein Stück Vieh!, dachte Leonardo, aber er unterdrückte die Anwandlung, ihr das vor die Füße zu werfen. »Wie bitte?«, fragte er, als ihm bewusst wurde, dass seine Mutter ihn etwas gefragt hatte.
»Ob du verheiratet bist.«
Er schüttelte den Kopf, unwillig. »Ich bin gern allein, unabhängig…«
»Und frei von Verantwortung. Vielleicht ist das wirklich das Beste. Warum sein Leben mit einem Menschen vertun, den man schließlich zum Teufel wünscht?«
»So geht es nicht immer.«
»O doch! Nur können die einen es besser vertuschen als die anderen.«
»Trotzdem… Manchmal geht einer von dir, den du gerne noch bei dir behalten hättest.«
»Einer?«
»Oder eine, was macht das für einen Unterschied?«
»Tja, was macht das für einen Unterschied?« Caterina starrte auf Leonardos Becher. »Und der Glaube?«
»Was meinst du damit?«
»Gott, die Kirche, beten, tugendhaft leben.«
»Lass uns bitte nicht davon anfangen!«, entgegnete Leonardo wenig erbaut.
»Was bleibt denn noch, wenn man nicht mehr glaubt?«
»Tiere glauben auch nicht. Und sind sie vielleicht unglücklicher als wir?«
»Wir sind keine Tiere, Leonardo.«
Das stimmt, dachte er, wir sind viel schlimmer. Tiere hatten keine Veranlassung, um Vergebung zu beten. »Nochmals, lass uns bitte nicht davon anfangen.«
Caterina nickte ergeben. Sie nahm die Tafel mit Leonardos Zeichnung vom Tisch und drehte sie um, so dass sie die Rückseite betrachten konnte. »Du hast etwas daraufgeschrieben«, stellte sie fest. »Aber ich kann es nicht lesen.« Sie hielt die Tafel weiter von sich weg. »Das sieht ja aus, als hättest du von rechts nach links geschrieben. Wer soll denn das lesen können?«
Leonardo
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