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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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Geschenke, Leonardo.«
    »Was willst du dann? Kannst du mir das jetzt endlich einmal verraten?«
    Wieder ließ die Antwort etwas auf sich warten. »Ich weiß es selber nicht… Da ist irgendetwas Erstickendes, irgendetwas, was mir manchmal die Kehle zuschnürt, und das wird immer schlimmer…«
    »Es liegt also an mir.«
    »Anfangs war es schöner, in deiner Nähe zu sein.«
    »Möchtest du einen Becher Wein?«
    »Wie bitte?« Paolo war verdutzt. »Nein danke.«
    »Ich schon«, sagte Leonardo. Er erhob sich, nahm den Becher von seinem Gürtel und trat an das Weinfass, das in der Werkstatt stand.
    Als er wieder auf seinem Stuhl Platz genommen und seinen Becher halb geleert hatte, sagte er abermals kopfschüttelnd: »Nach Mailand!« Ihm war, als sei er versehentlich in eisiges Wasser gefallen. Zuerst der Schock und dann wachsende Kälte.
    »Ich habe lange darüber nachgedacht«, erklärte Paolo. »Es tut mir wirklich leid, aber ich muss… Ich muss fort.«
    Mit dem Blick ins Leere trank Leonardo seinen Becher aus. Die Liebe ist wie ein Fluss, dachte er. Sein Wasser kommt und geht, manchmal strömt er schnell, manchmal steht er still, manchmal ist er klar, und manchmal trübt er sich ein…
    Ohne Paolo anzusehen, sagte er: »Ich wünsche dir viel Glück, Paolo.«
    Es war viele Jahre her, seit Leonardo zum letzten Mal in Campo Zeppi gewesen war, und wie schon damals wusste er nicht recht, was ihn eigentlich dorthin geführt hatte. Seine Stimmung vielleicht. Wie wohl auch seinerzeit, nur war es ihm da wahrscheinlich nicht bewusst gewesen, weil er noch nicht über derlei nachgedacht hatte. Es war eine spontane Idee, seine Mutter nach all den Jahren wieder einmal aufzusuchen.
    Der kleine Ort hatte sich verändert, es waren Häuser hinzugekommen, und es herrschte deutlich mehr Leben. Womöglich haben sich aber auch meine Erinnerungen im Laufe der Jahre verändert, dachte Leonardo. Er kannte inzwischen die verwirrenden kleinen Tricks, mit denen die Zeit den Geist bisweilen an der Nase herumführte.
    Aber das Haus seiner Mutter hatte sich eindeutig verändert. Man hatte viel angebaut, und auf der angrenzenden Weide standen jetzt Ziegen. Von den Bewohnern war niemand zu sehen.
    Leonardo saß ab und band Vanessa an einem Pfahl neben dem Eingang zum Wohntrakt an. Er nahm ein Päckchen aus der Satteltasche und trat auf die Haustür zu.
    Das Pferd war von dem langen Ritt ermattet und schaute ihm nicht nach, sondern ließ den Kopf hängen. Vanessa war achtzehn geworden, ein beachtliches Alter für ein Reitpferd. Der Tag, da sie geschlachtet werden musste, rückte näher.
    Es dauerte einige Augenblicke, bis Leonardo in der hageren Alten, die auf sein Klopfen hin die Tür öffnete, seine Mutter wiedererkannte. Caterina war ganz grau geworden und ging ein wenig gebückt, als trage sie eine schwere Last auf ihren Schultern. Sie hatte einige Schneidezähne verloren, und was sonst von ihrem Gebiss zu sehen war, bestand aus bräunlichen Stümpfen. Ihre Augen waren blass und tränten, als sei sie lange im kalten Wind gelaufen, und ihre Haut war fahl und faltig. Es schien auch, als sei sie geschrumpft, doch das kam ihm wohl nur so vor, weil er selbst ein gutes Stück gewachsen war, seit er seine Mutter zum letzten Mal gesehen hatte.
    Auch Caterina brauchte eine Weile, bis sie sah, wer ihr unerwarteter Besucher war. Und als sie ihn endlich erkannte, zeigte sie keine merkliche Regung. Sie trat nur stumm einen Schritt zurück und zur Seite, um ihn hereinzulassen.
    Das Haus sah sauber und aufgeräumt aus, was Leonardo überraschte. Er hatte wohl erwartet, dass es schäbig und verwohnt aussehen würde – also ein bisschen wie seine Mutter.
    »Die Kinder sind alle aus dem Haus«, sagte Caterina, die seinen leicht verwunderten Blick falsch deutete. »Verheiratet oder anderswohin gezogen. Stefane und Sofia sind tot, die Pocken.« Sie sagte das ohne innere Beteiligung, als handle es sich um etwas, was sie nicht betraf. Sie ließ sich auf einem Küchenstuhl nieder und schaute müde zu Leonardo auf. »Was führt dich hierher?«
    Nach kurzem Zögern antwortete er: »Ich wollte mich verabschieden… glaube ich.«
    Caterina zog die Augenbrauen hoch. »Haben wir das nicht schon vor vielen Jahren getan?«
    »Ich freue mich auch, dich wiederzusehen«, entgegnete Leonardo sarkastisch.
    »Ach, Leonardo«, seine Mutter schloss kurz die Augen, als könne sie kein Licht ertragen, »ich hatte schon fast vergessen, dass es dich gibt.« Sie schien sich keine

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