Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
nicht wie gewöhnlich umgedreht hast!« Er wartete nicht auf Leonardos Reaktion, sondern las in süffisantem Ton vor:
Erlauchtester Herr Ludovico Sforza,
dieweil ich die Leistungen all jener kenne, die sich für meisterliche Erbauer von Kriegsgerät halten, möchte ich Eurer Exzellenz einige meiner Geheimnisse darlegen und zur Verfügung stellen, die ich nachfolgend kurz aufführe: Ich weiß, wie man leichte, robuste und gut transportierbare Brücken baut, mit denen man den Feind verfolgen oder ihm gegebenenfalls entfliehen kann. Ich verstehe es, bei einer Belagerung die Wassergräben trockenzulegen. Ich kenne ein Verfahren, wie man eine jegliche Befestigungsanlage zerstören kann, falls sie nicht mit Bombarden zu beschießen ist. Ich weiß leicht transportierbare Bombarden herzustellen, aus denen man wohl hundert Steinchen zugleich schleudern kann. Ich kenne Möglichkeiten, durch Stollen geräuschlos an einen Ort zu gelangen, auch unter Gräben oder einem Fluss hindurch. Ich kann sichere und unangreifbare Streitwagen machen, hinter denen die Infanterie unverletzt und ungehindert durch die feindlichen Linien brechen kann. Ich verfertige Bombarden, Mörser und Schleudern von schönster und zweckmäßigster Form. Ich kann auch viele Arten von äußerst wirksamem Gerät zum Angriff und zur Verteidigung zur See herstellen sowie Schiffe, die dem Beschuss der größten Bombarde standhalten…
Lorenzo de’ Medici warf den Brief hin. »Was fällt dir eigentlich ein? Bist du wirklich so naiv zu glauben, ein derartiges Schreiben würde mir nicht in die Hände fallen? Und dann all dieser militärische Firlefanz! Von dir? Einem Maler?«
»Der Maschinenbau ist eines meiner besonderen Interessen, Exzellenz.«
»Ja, ja, das ist mir bekannt. Aber Kriegsgerät? Falls du dir damit ein herzliches Willkommen und die Gunst Il Moros erhofft haben solltest, muss ich dich enttäuschen. Er hasst alles, was mit Krieg und Kampf zu tun hat. Mein Gott, genügt denn dein künstlerisches Talent nicht, um reich davon leben zu können?«
»Vielleicht schon, wenn ich erst in Mailand ansässig bin. Doch das ist alles sehr langwierig, und…«
»Aber warum Mailand? Was soll Mailand dem schönen Florenz voraushaben?«
»Ich bin hier in Florenz nicht sehr beliebt, Exzellenz. Eine Folge von Klatsch und Verleumdung und…«
»Dann heirate schleunigst, und das Theater hat ein Ende.«
»Aber Exzellenz, man hat mich sogar ins Gefängnis geworfen!«
»Jeder Bürger, der mehr als zehn anderen bekannt ist, landet womöglich einmal im Kerker, ob nun zu Recht oder zu Unrecht. Und soweit ich mich erinnere, warst du ausgesprochen schnell wieder draußen.« Zwischen den Augenbrauen des Stadtherrn bildete sich eine senkrechte Falte, während er Leonardo forschend ansah. »Jetzt sag schon, was zieht dich wirklich nach Mailand?«
Es gelang Leonardo, seinem Blick standzuhalten. »Meine Inspiration hat mich verlassen, ich brauche dringend eine tiefgreifende Veränderung.«
»Ach, das ist freilich ein schlagkräftiges Argument!«, spöttelte der Stadtherr. Wieder bildete sich die senkrechte Falte in seiner Stirn. »Hat es vielleicht etwas mit deinem Freund Paolo zu tun, der sich nach Mailand abgesetzt hat?«
Leonardo konzentrierte sich auf die Stirnfalte, um Lorenzo de’ Medici nicht die ganze Zeit in die Augen schauen zu müssen. »Vielleicht, er bekam das schöne Angebot, in Mailand Marketerien zu fertigen, und das brachte mich auf die Idee, ebenfalls dort mein Glück zu versuchen.«
»Leonardo…« Der Stadtherr seufzte und wandte endlich den Blick ab. »Ich habe Lügner wie dich schon für Geringeres an den Schandpfahl nageln lassen.«
»Ihr untersagt mir also zu gehen?«
»Damit du dann klammheimlich doch verschwinden kannst? Nein, Meister da Vinci, mir geht es in erster Linie darum zu erfahren, was meine Schützlinge zu Taten bewegt, die bar jeder Vernunft sind.« Il Magnifico schlug die Mappe zu und erhob sich mit einer so brüsken Bewegung, dass Leonardo erschrak. »Ludovico Sforza hat mich wissen lassen, dass er Interesse an dir hat, aber nicht wegen deiner genialen Erfindungen.« Er ging zur Tür. Die Hand am Türknauf, sagte er: »Er trägt sich seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, ein Bronzestandbild zu Ehren seines Vaters anfertigen zu lassen. Ein großes Standbild, von seinem Vater zu Pferd. Aber bis dato hat er niemanden gefunden, der sich angesichts der damit verbundenen technischen Probleme an diese Arbeit herantraut.«
Leonardo sagte
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