Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
du ihm darin nicht folgst, schlägt er dir den Schädel ein«, maulte Leonardo.
»Also lasst uns nach Kräften sündigen, damit wir nicht in den Himmel müssen«, rief di Credi. »Wenn man bedenkt, wer da schon alles hockt!« Er schüttelte sich demonstrativ vor Widerwillen, worauf er erneut einen Hustenanfall bekam.
»Ist noch genug Bier da?« Mathurina stand im Türrahmen. »Ich möchte nämlich ins Bett. Denn im Gegensatz zu einigen anderen muss ich morgen früh raus und arbeiten.« Sie blickte nicht gerade freundlich in die Runde.
»Wir kommen schon zurecht«, antwortete Leonardo. »Ich wünsche dir eine gute Nacht.«
»Ob sie gut wird, hängt vom Radau hier ab«, entgegnete Mathurina und zog die Tür unsanft hinter sich zu.
Ghirlandaio sah Leonardo an. »Was bezahlt sie dir dafür, dass sie hier arbeiten darf?«
»Mathurina hat einen älteren Bruder, der Schreiner ist. Er versteht sagenhaft viel von Holz. Von ihm habe ich gelernt, dass sich Bildtafeln niemals verziehen, wenn sie auf die richtige Weise aus dem richtigen Teil des Stammes der Silberpappel gesägt werden.«
»So?«, sagte Ghirlandaio. »Das ist interessant. Und welcher Teil ist das?«
»Ich werde es der Welt kundtun, aber erst in meinem Testament.« Leonardo grinste.
Seine Gedanken schweiften ab, während die Stimmen der anderen zu belanglosen Hintergrundgeräuschen verschwammen.
Ja, wenn man der Welt wichtige Gedanken hinterließ, war das eine Art von ewigem Leben. Aber er konnte allenfalls illustrieren und interpretieren, was seine Augen wahrnahmen, ohne dem etwas Neues, Weltbewegendes hinzuzufügen. Etwas, was die Gemüter heutiger und zukünftiger Generationen bewegen würde. So, wie es zum Beispiel Aristoteles getan hatte und Archimedes und Platon und…
Und Jesus Christus, dachte Leonardo. Bald fünfzehn Jahrhunderte nach seinem Tod hatte er noch immer maßgeblichen Einfluss auf das Leben in der westlichen Welt. Kaum geboren, war er schon von Königen angebetet worden – eine Szene, die offenbar nach wie vor Eindruck machte, denn Leonardo hatte erst kürzlich den Auftrag erhalten, sie auf einem großformatigen Gemälde darzustellen.
Vielleicht schmuggelten sich viele Maler ja ein ums andere Mal mit einem Selbstporträt in ihre Werke hinein, damit auch sie über ihren Tod hinaus weiterbestanden, und sei es nur als für immer stumme, kaum erkennbare Figuren auf einem Bild. Holz und Farbe, wie lange konnten sie überdauern, bis die Zeit sie zu einem Häuflein Schmutz zerfallen ließ? Oder Feuer und Wasser kurzen Prozess mit ihnen machten? Aber Gedanken waren unverwüstlich. Solange sie nicht in Vergessenheit gerieten…
Als hätte er Leonardos Gedanken verfolgt, begann Zoroastro zu singen:
Welche Torheit zu glauben,
man sei von Gewichtwo
der Mensch doch bei Gott
nicht durch Größe besticht…
12
»Mailand?« Leonardo sah Paolo ungläubig an. »Was, zum Teufel, suchst du denn in Mailand?«
»Ich habe ein äußerst interessantes Angebot von einer Werkstatt, die ausschließlich in Marketerien arbeitet. Danach scheint in Mailand besonders viel Nachfrage zu sein. Und nicht wenige Kenner sind offenbar der Ansicht, dass ich auf diesem Gebiet ein sehr guter Fachmann bin.« In Letzterem schwang ein leiser Vorwurf mit.
»Mailand!«, stieß Leonardo noch einmal hervor. Er warf seine Feder hin und fluchte in sich hinein, als er sah, dass sich ein Tintenklecks auf der Seite bildete, die er gerade beschrieben hatte. »Ich dachte, du seist hier glücklich?« Er schaute zu Paolo auf, der vor seinem Schreibtisch unbehaglich von einem Bein aufs andere trat. »Oder wenigstens zufrieden?«
»Diese Chance ist einfach zu schön, um sie sich entgehen zu lassen, Leonardo.«
»Eine Chance auf was? Mehr Geld etwa? Drückt dich da der Schuh?«
Paolo erwiderte leise: »Ich brauche Anerkennung, Leonardo.«
Leonardo seufzte ungeduldig. »Anerkennung! Denkst du vielleicht, ich bekomme für alles, was ich mache, Anerkennung? Wir sind nun einmal Künstler, und Künstler ernten sowohl Kritik als auch Lob. Ich dachte, du wärst erwachsen genug, um damit leben zu können.«
Paolo schwieg einen Moment, bevor er im selben leisen Ton wie zuvor sagte: »Mit der Kritik von Unbekannten kann ich gut leben.« Er sah Leonardo vielsagend an.
»Verdammt, Paolo!«, brauste Leonardo auf. »Du hörst dich an wie eine törichte Jungfer! Soll ich dir etwa jedes Mal Blumen schenken, wenn du gute Arbeit geleistet hast?«
Paolo wandte den Blick ab. »Nein, ich brauche keine
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