Der Maler Gottes
er, ärmliche Holzhäuser mit brüchigen Fensterrahmen, in denen als Schutz vor der Kälte mit Öl durchtränktes Papier hängt. In den Gassen herrscht ein unbeschreiblicher Gestank, der nicht allein von den Schweinen, Gänsen und Hühnern stammen kann, die sich im Dreck tummeln. Ein barfüßiger Junge mit blau gefrorenen Zehen treibt eine klapprige Kuh vor sich her in den nahen Stadtwald. Matthias rümpft die Nase. Hier sieht es nicht anders aus als im Armenviertel Grünbergs, aber es stinkt gottserbärmlich, denkt er, geht weiter in Richtung Stadtinneres und verfolgt staunend, wie sich das Bild ändert, je näher er dem Zentrum kommt. Solide Fachwerkhäuser auf Steinsockeln, mit Fenstern aus Butzenglas, mit Erkern und Baikonen säumen die gepflasterten Straßen. Nur vereinzelt entdeckt Matthias noch Viehzeug in den Abwassergräben zwischen den Häusern. Mägde schütten den Unrat nicht mehr einfach vor die Haustür, sondern entladen den Müll in die Gräben, in denen Hühner nach Fressbarem suchen. Matthias ist ins Händler-und Handwerkerviertel geraten. Er erkennt es an den Schildern, die vor den einzelnen Häusern hängen und das Gewerk der Bewohner benennen. In der Krämergasse riecht es nach unbekannten Gewürzen, in der Seifensiedergasse nach Asche und Fett. Im Vorübergehen wirft er einen Blick in die Werkstätten, die im Erdgeschoss liegen. Er betrachtet die Waren auf den heruntergeklappten Fensterläden, hört Käufer und Verkäufer lauthals feilschen und staunt über die ungeheure Vielfalt der angebotenen Waren, über die Menge an Handwerken, von denen er zum Teil noch nie gehört hat. So ähnlich hat er sich Frankfurt vorgestellt. Gewimmel und Lärm in den Gassen, Lachen, Rufen, viele Menschen, Gerüche, Farben und Formen, die Augen und Ohren überspülen wie ein Platzregen.
Bald gelangt Matthias in die Stadtmitte. Hier stehen hohe, mehrstöckige Häuser aus Stein mit prächtig verzierten Giebeln. Es sind die Häuser der reichen Bürger, Ratsmitglieder und Patrizier.
Die Gassen werden breiter, werden zu gepflasterten Straßen mit Bürgersteigen. Unversehens gelangt Matthias zum Herzen der Stadt, zum Rathaus, dem Römer. Auf dem großen Platz davor herrscht gewaltiges Treiben. Der tägliche Markt wird abgehalten. Ein Markt, zehn Mal so groß wie der Grünberger, hundert Mal prächtiger und tausend Mal lauter. Das Rufen der Marktschreier wird übertönt vom harten Klappern der eisenbeschlagenen Wagenräder und dem Getrappel unzähliger Pferdehufe.
Matthias fragt an einem Stand nach dem Weg zum Dominikanerkloster, drängt sich durch das Gewühl des Marktes und sieht schon bald die Bettler und Kranken, die vor der Klostermauer um Almosen betteln. Ein Klosterbruder öffnet auf sein Klopfen eine Luke in dem großen Holztor. »Was willst du?«, fragt er barsch.
»Fragen wollt ich, ob Meister Holbein noch einen Lehrling brauchen kann«, erwidert Matthias befangen. Die große Stadt mit den vielen Kirchen und Klöstern, den unzähligen Gassen und den Menschenmassen hat ihn eingeschüchtert. Der Lärm verstopft seine Ohren, die große Zahl von Bildern und Eindrücken legt sich fast schmerzhaft über seine Augen, sein Kopf dröhnt, die Füße brennen von der ungewohnten Härte des Straßenpflasters.
»Lehrling, sagst du?«, fragt der Klosterbruder und legt die Hand hinters Ohr wie ein Schwerhöriger. Matthias nickt.
»Leute, die ihm die Zeit stehlen, kann Meister Holbein hier nicht brauchen«, erklärt der Klosterbruder mit einer Mischung aus Stolz auf den berühmten Maler, den die Mauern seines Klosters derzeit beherbergen, und leiser Verachtung für einen, der wohl vom Lande kommt und nicht zu wissen scheint, welch vermessenes Ansinnen er stellt.
»Du musst noch viel lernen, mein Sohn. Komm wieder, wenn du Geselle bist«, fügt der Klosterbruder hinzu und macht mit einem lauten Knall die Luke dicht. Unschlüssig steht Matthias eine Weile vor dem Kloster herum und überlegt, was er nun machen, wo er hin soll. Das Empfehlungsschreiben für die Antoniter trägt er im Beutel, also entschließt er sich, in deren Präzeptorei zu gehen.
Wenige Tage nur vergehen, dann hat Matthias dank des Schreibens von Jakob Ebelson und mithilfe von Vater Adam, dem Präzeptor der Frankfurter Antoniter, einen neuen Lehrmeister gefunden. Der Maler und Bildschnitzer Hans Fyoll, ein noch recht junger Meister, der gerade das 30.Lebensjahr erreicht hat, empfängt Matthias mit offenen Armen. Er ist ein warmherziger Mensch, einer, der
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