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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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fühlt sein Blut ganz heiß durch den Körper rinnen. Noch nie zuvor hat er mit einem Menschen so lange geredet, niemandem vorher so viel über sich erzählt. Jetzt, da Magdalena so vieles von ihm weiß, ist er mit ihr verbunden. Er kann sie sogar fühlen, diese Verbindung zwischen ihnen beiden. Er fühlt sie als warmes Streicheln in seinem Bauch, als ein leises Pulsieren, bei dem ihm wohl wird, als Lächeln auf dem Gesicht. Magdalena, seine Freundin, seine Vertraute, seine verschwisterte Seele.
    Als er das Stadttor Friedberger Warte erreicht, ist die Sonne bereits aufgegangen und hat die Schieferdächer in funkelndes Licht getaucht. Der nahe Taunus umrahmt die zahllosen Häuser der Stadt, die wie in einem Kessel zwischen den Hügeln geborgen sind, mit violetten Schatten.
    Am Tor herrscht Gedränge. Nichts bewegt sich. Die Torwächter versuchen mit Mühe, für eine Planwagenkolonne mit Kaufmannsgut freien Platz zur Durchfahrt zu schaffen.
    »Macht Platz! Geht zur Seite, Leute! Die Welser-Wagen kommen. Nun hört doch. Geht zur Seite! Macht schon!« Die Menge vor dem Tor, wandernde Handwerksburschen, Fahrende, Bauern, Vaganten und Spielleute, murrt. »Wir müssen auch in die Stadt, haben auch unsere Arbeit zu verrichten. Wie lange sollen wir hier noch stehen?« Der Torwächter lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. »Seid still, Leute, und macht Platz für die Wagen. Wenn ihr das nächste Mal kommt, bringt genauso viele Waren wie die Welser, dann müsst ihr auch nicht warten.« Matthias staunt, als die Kolonne an ihm vorbeirumpelt. Wagen reiht sich an Wagen, alle hoch beladen mit Ballen feinsten Tuches, mit Leinen und anderen Stoffen. Auf der anderen Seite des Tores wartet ein junger Adliger in kostbarem Gewand mit seiner Gefolgschaft darauf, die Stadt zu verlassen. Hinter ihm in gebührendem Abstand eine Gruppe von Ordensschwestern, die wohl auf Wallfahrt sind. Dazwischen zerlumpte Kinder, die um ein Stück Brot betteln oder versuchen, von den Karren der Bauern Essbares zu stehlen. Vom Wagen eines Abdeckers, der die Schlachtabfälle und Kadaver unzähliger herrenloser Hunde vor den Toren der Stadt abladen will, dringt süßlicher Geruch, der sich in Haaren und Kleidern festsetzt. Das Rattern der Wagen vermischt sich mit dem Geschnatter der Nonnen, den barschen Befehlen des Adligen, dem Kreischen der Kinder und der Musik eines Spielmannes zu einer kakophonen Melodie, die in Matthias’ Ohren schmerzt.
    Neben Matthias steht ein Handwerksbursche, an der Kleidung als Zimmermann zu erkennen. »Na, Bruder, auch unterwegs?«, fragt der, und Matthias nickt, ganz benommen von dem Leben und Treiben am Tor.
    »Welcher Zunft gehörst du an, Bruder?«, fragt er weiter. »Noch keiner«, erwidert Matthias. »Auf der Suche nach einem Meister bin ich, will Maler und Bildschnitzer werden.«
    Der Zimmermann nickt. »Geh ins Dominikanerkloster«, rät er. »Der Meister Hans Holbein malt dort einen Altar. Erst vor wenigen Wochen hat er damit begonnen. Riesengroß wird der Altar, und Handwerker aller möglichen Zünfte arbeiten daran mit. Ein Zunftbruder, den ich kürzlich traf, hat mir davon erzählt. Der Zimmermann war dabei, hat mit am Gerüst gebaut. Vielleicht gibt es dort auch für dich ein Auskommen.«
    »Hans Holbein sagst du?«, fragt Matthias nach und fühlt sein Herz aufgeregt in der Brust schlagen. Der Zimmermann nickt. Matthias hat den Vater des Öfteren von Holbein und seinen unglaublichen Altarbildern reden hören. Den besten Maler im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hat er ihn sogar genannt. Einmal hatte der Vater ein Werk Holbeins gesehen. Vor sechs Jahren war es, in Augsburg. Und der Vater hatte in den schillerndsten Tönen die Kunstfertigkeit, die Farben und die Gestaltung des Weingartener Altars gelobt. Noch immer erinnert sich Matthias beinahe Wort für Wort an den Bericht des Vaters und an den eigenen drängenden Wunsch, einmal ein Bild Holbeins zu sehen. Und jetzt ist Holbein in Frankfurt. Keine Frage, dass Matthias dorthin gehen wird. Nur bei den großen Meistern kann ich das Handwerk so erlernen, wie ich es mir wünsche, nur bei ihnen werde ich erfahren, wie lebendige Bilder entstehen, denkt er und hat inzwischen das Tor erreicht. Die beiden Torwächter durchsuchen ihn, fragen nach dem Wohin und Woher, bevor sie ihn in die Stadt lassen. Ich bin in Frankfurt, denkt Matthias froh, sieht sich um und wundert sich über die Verkommenheit und Armseligkeit des Viertels gleich hinter dem Tor. Wohnhütten sieht

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