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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Matthias vorsichtig aus ihren Armen und betrachtet sie. Er holt ein Skizzenbuch, das Abschiedsgeschenk seines Paten Georg, hervor, entzündet die Stalllaterne und zeichnet Magdalena im Schlaf. Er zeichnet ihr Gesicht, ihr Haar, das im Laternenlicht wie Gold über das Stroh fließt, die kleine Nase mit den zarten Flügeln, den Mund, fast zu rund, fast zu rot für dieses arglose Gesicht, die noch kindlich gerundeten Wangen, das Kinn mit der Andeutung eines kleinen Grübchens, den schlanken Hals. Er zeichnet ihr nacktes Gesicht, zeichnet auch die Narbe, die sich in einem Bogen vom Augenwinkel bis zum Ohrläppchen zieht und ihr im fahlen Mondlicht das Aussehen eines gequälten Tierchens verleiht. Er entblößt sie mit seinem Stift, entblättert sie, ohne ihre Kleidung auch nur zu berühren. Matthias hat in diesem Moment das Gefühl, Magdalena weit mehr zu besitzen als jeder vor und nach ihm, der für sie bezahlt.
    Mehrere Blätter zeichnet er voll, ehe er mit seiner Arbeit zufrieden ist. Er steckt das Skizzenbuch zurück in sein Bündel, streicht mit dem Finger noch einmal zart über das wulstige Mal, legt dann die Arme um sie und sinkt in den Schlaf.
    Als Matthias am Morgen erwacht, ist der Platz neben ihm leer. Nur das zerdrückte Stroh erinnert noch an Magdalena. Matthias presst sein Gesicht hinein, um einen Rest von ihrem Geruch einzufangen. Ganz tief saugt er den leisen Duft ein, streicht mit seinen Händen sanft über die Stelle, auf der sie noch vor kurzer Zeit gelegen hat. »Magdalena«, flüstert er und lächelt dabei. Vom Hof hört er Geräusche, Schritte klappern, eine Tür wird aufgestoßen, die Stimme des Müllers: »Magdalena, hol Wasser.« Ein Fuhrwerk rollt rumpelnd auf den Hof, Säcke werden abgeladen, Weizen und Roggen zu Mehl gemahlen.
    Matthias nimmt sein Bündel und geht in die Gaststube. Die beiden Reiter sitzen bereits vor einer Schüssel mit Gerstenbrei, essen weißes Brot dazu. Matthias beachtet sie nicht, will sie nicht sehen, erwidert auch den höhnischen Gruß nicht. Er sieht zur Tür, wartet nur auf Magdalena. Endlich kommt sie. Sie lächelt ihn an, berührt leicht seinen Arm, als sie ihm die Grütze hinstellt. Langsam, ganz langsam isst Matthias sein Morgenmahl. So langsam, dass die Reiter endlich aufbrechen, während er noch immer vor seiner Schüssel sitzt. Er hört, wie der Müller Befehle durch die Küche brüllt, hört, wie das Feuer geschürt wird, hört Klappern von Töpfen und Pfannen. Als er sein Bündel schnürt und einige Groschen auf den groben Holztisch legt, kommt Magdalena noch einmal. Sie drückt ihm die Zeichnung, die er gestern von ihr gemacht hat, in die Hand.
    »Ich bitte dich, bringe sie meiner Mutter. Nimm sie mit nach Frankfurt. Meine Mutter soll wissen, dass es mir gut geht. Geh bis ans Ende der Petersgasse, bis hin zur Kirche. Sie wohnt im Küsterhaus. Geh zu meiner Mutter und sage ihr, dass ich bald wieder in die Stadt komme.« Matthias nimmt die Zeichnung und nickt. »Wann kommst du? Wann sehe ich dich wieder?«, fragt er. Magdalena sieht in Richtung Küche. »Sobald es geht«, flüstert sie. »Ich werde auf dich warten. Deine Mutter wird wissen, wo du mich finden kannst«, verspricht er. Magdalena nickt ernst. »Ich werde kommen.« Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und haucht Matthias einen leichten Kuss auf die Wange. Eine Besiegelung ihres Versprechens.
    »Gott schütze dich«, sagt sie und verlässt eilig die Gaststube.
    »Gott schütze dich auch«, ruft Matthias hinter ihr her und betastet mit vorsichtigen Fingern die Stelle in seinem Gesicht, auf der noch die leise Feuchtigkeit von Magdalenas Kuss liegt. Dann verlässt er ebenfalls die Mühle, die Zeichnung aus Angst vor Beschädigung zusammengerollt in der Hand tragend.
    Die letzten Morgennebel verbergen noch die Spitzen der fernen Kirchtürme. Klamme Feuchtigkeit liegt in der Luft, schwindet mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der Matthias der Friedberger Warte, dem nördlichen Tor Frankfurts, näher kommt. Er läuft über einen von Fahrrinnen und Hufabdrücken durchfurchten Pfad direkt auf die mächtige Stadtmauer aus Stein zu, die in regelmäßigen Abständen von hohen Wachtürmen überragt wird. Er geht schnell, beschwingt sogar, denn Frankfurt ist für Matthias über Nacht zu mehr als einem Ort geworden, in dem er sein Handwerk vervollkommnen wird. Magdalena. Er sieht ihr Gesicht ganz deutlich vor sich, den Mund, der verspricht: »Ich komme bald.«
    Magdalena, ich warte auf dich, denkt er und

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