Der Maler Gottes
sie spricht, die Blicke niederschlägt, den Mund verzieht. Erst dann werde ich sie richtig zeichnen können.
Als die ersten Planwagenkolonnen mit Messegut an der Stadtwaage halten, spürt Matthias eine freudige Aufregung in sich. Die Straßen und Gassen werden vom Müll und Dreck gereinigt, die Galgen leer geräumt, herrenlose Hunde eingefangen und die Häuser und Brücken der Stadt mit bunten Wimpeln und Fähnchen geschmückt. Aus aller Herren Länder treffen Kaufleute in Frankfurt ein. Am Hafen drängen sich die Frachtschiffe, und in den Straßen herrscht ein babylonisches Sprachgewirr. Matthias hört französische, sächsische, englische und niederländische Worte, sieht Wagen aus Oxford, dem Elsass, aus Antwerpen, Brügge, Augsburg, Florenz, Prag und Leipzig. In den Herbergen und Gasthäusern der Stadt herrscht reges Treiben, die Gastwirte und Herbergsbetreiber machen ein glänzendes Geschäft mit den Messfremden, kein freies Bett, keine freie Kammer ist mehr zu bekommen. In allen Straßen und Gassen rund um den Römer, der die Waage und die Hallen beherbergt, schlagen Händler, Krämer und Kaufleute ihre Buden und Stände auf. Jedes Fenster wird zum Kramladen, jede Bank zum Marktstand, ja, manche breiten ihre Waren direkt auf dem Pflaster aus. Menschenmassen durchströmen die Stadt, Reiter kommen nur schwer voran, und die Büttel haben alle Hände voll zu tun, der Diebe, Gauner und Beutelschneider, die von der Messe angezogen werden wie die Fliegen vom Rahm, Herr zu werden.
Matthias durchstreift die Gassen und staunt über die Vielfalt der dargebotenen Waren. Waffen und Kriegsgerät sieht er in so reichlicher Menge, als gelte es, für eine Schlacht zu rüsten. Haushaltsgegenstände, die er noch nie gesehen hat, Gewürze und Spezereien aus dem Orient, Leinen und Tuche aus England, Brüsseler Spitze, kostbare Goldschmiedearbeiten aus Nürnberg, Marmor aus dem italienischen Carrara, Parfüm und Seifen aus Frankreich und unzähligen Putz. Hier preist laut schreiend ein Handschuhmacher seine Waren an, dort wird Glas aus Böhmen angeboten, daneben gibt es Bänder, Knöpfe und Zierrat, wie sie Matthias schöner noch nie gesehen hat.
Er kauft eine Kleiderspange aus Horn für Magdalena, die er bald, in weniger als zwei Stunden schon, zum Abendläuten an der Heilig-Geist-Pforte treffen wird. Er eilt weiter von Stand zu Stand, von Bude zu Bude und gelangt unversehens in die Gasse der Buchdrucker und Buchhändler. Vor manchen Auslagen drängen sich ganze Menschentrauben. Schriftsteller und Philosophen debattieren mit den Ausstellern und Käufern über ihre Schriften, kostbare Bücher werden betrachtet und begutachtet, Kunsthandwerker bieten Holzschnitte und Kupferstiche an, Lehrjungen verteilen bedruckte Zettel mit Passionsspielen und Flugschriften, sogar Nonnen und Mönche bieten gedruckte und kolorierte Erweckungshymnen feil. Matthias drängt sich durch die Menschenmenge, wird vom Strom der Käufer und Gaffer von Stand zu Stand getrieben und reißt staunend die Augen auf. In der Mitte der Gasse zieht ein italienischer Buchdrucker seine Aufmerksamkeit auf sich. Matthias bleibt stehen, sieht gebannt auf die Kupferstiche, die auf einem Tisch angeboten werden. Er steht da, der Mund offen, die Augen zwei brennende Fackeln, und ist vollkommen hingerissen. Alles, was er gerade gemacht und gedacht, ist nicht mehr wichtig. Er spürt die Stöße und Püffe der Leute nicht, hört nicht die Flüche derer, denen er den Weg versperrt. Matthias steht da, hält vor Aufregung den Atem an und fühlt sein Herz so heftig schlagen, dass er meint, damit den Lärm der Messfremden und Einheimischen zu übertönen. Ganz langsam und vorsichtig geht er näher an den Stand, gerade so, als könnte der sich in Luft auflösen, beugt sich über die Stiche und verfolgt mit den Augen jede Linie, jede Schraffur. Lange steht er so und schaut, ehe er sich, vor Erregung atemlos, an den Händler wendet.
»Herr, sagt mir, wer diese Stiche gemacht hat«, stammelt er.
»Was, Ihr kennt Andrea Mantegna nicht?«, fragt der Händler.
»Mantegna? Andrea Mantegna aus Mantua? Der bedeutendste Kupferstecher diesseits und jenseits der Alpen?«, fragt Matthias. Sein Herz schlägt noch schneller. »Mein Meister hat mir von ihm erzählt. Er hat ihn einmal getroffen, als er über die Alpen reiste«, stammelt er und beugt sich wieder über die Stiche.
»Ihr seid selbst ein Maler?«, fragt der Händler, doch Matthias hört ihn nicht. Seine gesamte Aufmerksamkeit, all
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