Der Maler Gottes
Ohr verdeckt. Sie lacht laut, lacht mit weit offenem Mund, den Kopf zurückgeworfen. Dabei verrutscht ihr die Haube, und einige Haarsträhnen lösen sich. Rotgoldenes Haar, auf das die Abendsonne fällt.
Ein Mann steht vor ihr, an seiner Kleidung als Handwerker auszumachen, und greift nach ihr. Die Frau legt die Hände schützend auf ihr halb offenes Mieder, lacht gekünstelt und ruft den anderen Frauen ein paar Worte zu. Matthias sieht, wie der Handwerker ein Geldstück aus dem Gürtel zieht, es der Frau langsam und genüsslich zwischen die Brüste schiebt. Mit der anderen Hand knetet er ihren Hintern wie Brotteig, leckt mit der Zunge ihren Hals. Schließlich hakt sich die Frau bei ihm ein und zieht ihn in Richtung Brücke, in deren Schutz Matthias steht. Als die beiden näher kommen, erkennt Matthias die Frau, von der er längst ahnt, wer sie ist, es jedoch nicht glauben wollte. Ihr Gesicht weckt trotz des grell geschminkten Mundes Erinnerungen. Es ist Magdalena. Und jetzt hat sie ihn auch gesehen. Wortlos kreuzen sich ihre Blicke, Magdalenas Lachen erstirbt. Beinahe steif steht sie da und sieht zu Matthias. Den Handwerker, der an ihrem Arm reißt, beachtet sie nicht. Sie rafft ihr Mieder zusammen, lässt keinen Blick von Matthias. Der steht da und schaut, hält dabei die Hornspange in der Hand, hält sie so fest, dass die Spange Abdrücke in seiner Haut hinterlässt. Dann wirft er die Hornspange weg, dreht sich um und geht.
»Matthias! Matthias, warte!«, hört er Magdalena hinter sich rufen. Einmal noch dreht er sich um, sieht, wie Magdalena sich von dem Freier losreißen und ihm nachlaufen will, doch er schüttelt nur den Kopf und geht weiter, beschleunigt sogar seine Schritte.
»Matthias, lauf nicht weg«, ruft Magdalena ihm hinterher, und ihre Stimme ist schrill vor Enttäuschung. Matthias beginnt zu rennen, flieht vor den Rufen, flieht vor den Frauen und Männern auf der Wiese, flieht vor Magdalena, der Hure, mit der er nichts gemeinsam hat, die so nicht seine Freundin, seine verschwisterte Seele sein kann.
Gewöhnlich ist sie, hässlich und banal. Die Frau auf der Wiese hat nichts gemein mit der Magdalena aus der Mühle, die die Farben sucht. Hat sie ihn verraten und getäuscht? Wer ist sie? Die mit der Narbe gezeichnete Hure, die Frau mit dem Kainsmal der Schuld im Gesicht? Oder das Mädchen der Nacht, das seine Sehnsucht teilt? Matthias rennt bis nach Hause, geht wortlos in die Werkstatt, hört nicht den Meister rufen, geht einfach, setzt sich dort auf einen Schemel und zeichnet. Er zeichnet ein rundes, zu rundes Gesicht, das sich dem Betrachter entgegenreckt, ihn zu verhöhnen scheint, in dem der weit aufgerissene Mund wie eine blutige Wunde sitzt. Er zeichnet Augen, zusammengekniffen, klein wie zwei dunkle Flecken auf dem Vollmond, so dass die Pupillen wie Fliegendreck wirken. Und er zeichnet die Narbe, einer Sichel, einer scharfen Sense gleich, mit ausgefransten Rändern, wulstig und Schmerz verheißend wie ein böses Geschwür. Auch den nach hinten gebogenen Hals zeichnet er, die runde Schulter und die Brüste, die aus dem Mieder ragen, wie Waffen auf den Zeichner, den Beschauer gerichtet. Er zeigt die Verbrämung am Kleid, zeigt sie so, dass es keiner Farbe bedarf, um deren Bedeutung zu entschlüsseln. Und er fühlt die Macht, die er in diesem Moment über das Mädchen hat. Es ist nicht der Handwerker, der sie jetzt besitzt, es ist Matthias, der sie entblößt, dessen Stift sie sich nackt, ungeschützt, wehrlos und ohne es zu wissen aussetzen muss, dem sie sich hingeben muss und der sie zeigt auf eine Art, gegen die sie sich nicht wehren, nicht rechtfertigen kann. Er zeichnet wie im Rausch, wirft die Striche, Schraffuren, Linien und Bögen wie Unrat aufs Papier, schleudert sie hin wie Dreck auf den Misthaufen. Er hält inne, holt die Mantegna-Kopie, studiert noch einmal die Linien der Gesichter dort, korrigiert seine Zeichnung, wischt aus, zieht neue Striche und Bögen, seine Zungenspitze drückt sich zwischen die zusammengekniffenen schmalen Lippen, folgt den Bewegungen des Stiftes in seiner Hand. Endlich lässt er das Blatt sinken. Der Rausch verfliegt, im selben Augenblick fühlt Matthias große Erschöpfung. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, benetzt mit Wasser die trockenen Lippen, den trockenen Mund und betrachtet die Zeichnung. Ein Glücksgefühl durchströmt ihn, ein heißes Fließen durch Bauch und Lenden, als er sieht, was er vollbracht hat. Er sieht eine Hure, die niedrigste der
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