Der Maler Gottes
nahen Mainhafen sind zu hören. Matthias steht da, holt ächzend Luft, keucht, sieht sich nach allen Seiten um. »Magdalena«, ruft er. »Magdalena, wo bist du?«
Niemand antwortet. Nur ein altes, verhutzeltes Weib mit einem Korb auf dem Rücken, aus dem Holzscheite ragen, dreht sich flüchtig nach ihm um, schüttelt den Kopf und schlurft langsam weiter.
Noch einmal vergewissert sich Matthias, dass Magdalena nicht auf ihn gewartet hat. Vielleicht ist sie auch gar nicht gekommen. Er ist enttäuscht und eher ärgerlich als traurig. Wie soll ich ihr Gesicht zeichnen, wenn ich es so lange nicht mehr gesehen habe?, denkt er und geht nach Hause.
Obwohl der Meister und die Gesellen längst zu Abend gegessen haben und nun beim Würfelspiel in der Küche hocken, geht Matthias noch einmal in die Werkstatt. Er breitet seine Mantegna-Kopie aus, holt sich einen neuen Bogen Papier und zeichnet noch einmal nur die Gesichter der abgebildeten Figuren. Die halbe Nacht sitzt er da und übt. Und obwohl die Gesichter nun auch bei ihm an Ausdruck gewonnen haben, ist er nicht zufrieden. Es geht noch besser, weiß er. Ich will genauso gut wie Mantegna zeichnen, doch noch reicht es nicht. Am nächsten Abend verlässt er die Werkstatt und durchstreift alle Gassen der Stadt. Er sucht Magdalena, will ihr Gesicht studieren, sich den Ausdruck darin einprägen. Und er will ihr die Hornspange geben, die er in seinem Wams trägt. Noch einmal geht er zur Zeit des Abendläutens zur Heilig-Geist-Pforte. Diesmal ist der Platz belebter. Die Leute kehren von den Messegeschäften in ihre Herbergen zurück, ein Spielmann und ein Gaukler zeigen ihre Künste. Der Musikant hält die Fiedel im Arm und singt ein deftiges Lied. Er läuft dabei einer Magd hinterher und besingt deren Gang, stellt singend Vermutungen an, was die Magd wohl unter dem groben, leinenen Ober-, Unterkleid und Mieder verbirgt. Der Gaukler kommentiert pantomimisch das Geschehen, äfft mal die Magd, mal den Spielmann, mal die Zuschauer nach. Die Leute lachen und werfen kleine Geldstücke in einen Hut, den der Gaukler ihnen unter die Nase hält. Gibt einer nichts, so muss er sich derb verspotten lassen. Matthias umrundet zwei Mal den Platz, schaut dabei in jedes Gesicht, doch Magdalena sieht er nicht. Er sucht weiter, fragt in jeder Herberge am Weg, in jedem Badehaus, doch er findet sie nicht. Sogar zum Haus des Küsters in der Petersgasse geht er und versucht, durch die Ritzen der hölzernen Fensterläden einen Blick ins Innere des Hauses zu werfen. Doch alle Mühe ist vergebens. Er findet Magdalena nicht. Nicht an diesem Abend und auch nicht am nächsten.
Am Ende des dritten Messetages verlässt er wieder kurz nach dem Abendläuten die Werkstatt. Diesmal läuft er am Main entlang, versucht vom Ufer aus, die Passagiere des Marktschiffes, das täglich die Strecke Frankfurt-Mainz und zurück befährt, auszumachen. Er gelangt schließlich zu einer Uferwiese, nahe einer Brücke und unterhalb des Frauen-, des Hurenhauses der Stadt gelegen. Auf der Wiese gehen Frauen auf und ab. Ihre Kleidung ist mit einem gelben Stoffstreifen verbrämt, dem Kennzeichen der freien Töchter. Es ist der Platz, an dem zur Messezeit die ambulanten Huren auf ihre Freier warten. Nur wegen der Messfremden, die guten Umsatz versprechen, sind sie aus den umliegenden Orten nach Frankfurt gekommen. Die Frauen lachen und schwatzen. Manche haben ihre Mieder so weit aufgeschnürt, dass man ihre Brüste sehen kann. Matthias bleibt stehen und betrachtet jede Einzelne von ihnen. Er sieht Männer auf die Wiese kommen, Männer in prächtiger Kleidung, Kaufleute, Händler, ein paar Handwerker. Sie gehen von Frau zu Frau, betrachten ihre Gesichter, begaffen die Brüste im Mieder, als wären es Waren in einer Auslage, greifen nach Hintern und Schenkeln. Die Frauen stellen sich in Pose, recken und strecken sich, schäkern laut oder flüstern heisere Versprechungen. Haben die Männer gefunden, was sie suchen, nehmen sie die Frau beim Arm und verlassen die Wiese. Manche gehen nur ein Stück weiter hinter einen Busch, andere streben nach der Stadt zu einem stillen Winkel, bestenfalls zu einem Herbergsbett. Eine Frau ist dabei, deren Gang Matthias an etwas erinnert. Er betrachtet sie genau, betrachtet den geschminkten roten Mund, das halboffene Mieder, das über eine Schulter geglitten ist und warme, weiche Haut enthüllt, betrachtet die Haube, an die ein kleiner Schleier geheftet ist, der die linke Hälfte des Gesichts bis hinunter zum
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