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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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nur, schaut und schaut. Lange Zeit passiert gar nichts. Matthias wird ruhiger, das ist alles. Sein Atem geht gleichmäßig und regelmäßig, fast wie im Schlaf. Er ist ganz entspannt, ganz auf sich konzentriert.
    Plötzlich ein Erzittern. Ein Beben durchdringt seinen Körper, hebt ihn hoch, hebt ihn aus der Kirchenbank. Warm wird ihm, heiß gar, er möchte zerspringen. Tränen steigen auf, fließen über die Wangen, fallen auf das Wams, sein Puls rast, das Blut strömt wie Funkenregen durch seinen Körper, sein Herz trommelt gegen die Rippen, als wolle es herausbrechen. Suchet, so werdet ihr mich finden. Was jetzt geschieht, ist Erkenntnis. Es ist weit mehr als Wissen, berührt nicht nur den Kopf, sondern das ganze Sein. Matthias begreift. Er ist verantwortlich für das Machbare, aber das Wesentliche geschieht. Geschieht in diesem Augenblick. Gott ist schon da. Er ist überall. Wohnt in Kopf, Herz und in der Seele, und nur dort kann er gefunden werden, gleich, an welchem Ort sich der Körper befindet. Es bedarf dieser besonderen Bereitschaft, ihm zu begegnen. So bereit, wie es Matthias in diesem Augenblick ist. Dann, nur dann, kann man ihn spüren. Hingabe. Zuerst geht es um Hingabe. Und dann begegnet man der Liebe, einer Liebe, nicht von dieser Welt. Gott ist diese Liebe.
    Ein Schluchzen steigt aus Matthias’ Brust, wirft ihn vor dem Altar zu Boden. Er liegt vor Jesus, und Schauer durchjagen seinen Körper. Er weint, stöhnt, möchte schreien, rufen, hinausrennen, doch er bleibt liegen, schlingt die Arme um sich, fühlt Gott wie einen Sonnenstrahl, der seinen Körper wärmt, streichelt, beruhigt. Das Schluchzen wird ruhiger, gleichmäßiger. Stille zieht in Matthias ein. Eine Stille, so wohltuend, dass er sich darin einrichten möchte. Eine Stille, die aus seinem Herzen kommt. Und jetzt begreift der ganze Mensch. Begreift die Liebe Gottes, die Liebe Magdalenas, das Wesen der Liebe an sich. Begreift Hingabe durch Hingabe. Dann steht er auf, nimmt die größte Kerze von allen, die er am Vortag gekauft hat, steckt sie an, kniet sich davor und betet für Magdalena, die sich jetzt vergeistigt hat. Es ist ein Dankgebet, und es sind viele Worte, viele Sätze, die er Magdalena hier sagt. Und mit diesen Worten holt er sie nach Hause, holt sie in sein Herz, gibt ihr Raum in sich, gibt sich ihr hin. Sie hat ihn die Liebe gelehrt. Jetzt hat er verstanden.
    Die nächste Kerze entzündet er für Guersi. Und auch ihm dankt er. Dankt ihm für die Wegweiser, die er ihm aufgestellt hat und die ihn in dieser Nacht an diesen Ort und zu sich selbst geführt haben.
    Der Morgen bricht sich langsam durch die Kirchenfenster Bahn, als Matthias glücklich und erschöpft auf der Kirchenbank ruht. Er hat seinen Umhang als Kissen unter den Kopf geschoben und fühlt sich sicher, warm und wunderbar geborgen wie in einem weichen Daunenbett. Doch Matthias schläft nicht. Er will das Glück, das er in diesem Moment empfindet, festhalten. Langsam formt sich der Mund zu einem Gebet, das mehr ist als nur ein Gebet. Es beinhaltet die Vergangenheit des Malers, die Gegenwart des Isenheimer Altars und ist Ausblick in die Zukunft: »Jesus, liebster Herr, ich bitte dich, dass du mich annimmst zum Docht auf der Lampe, zu der du das Öl gibst. Es geht mir nicht darum, ob mein Leib verdorrt wie Gras und mein Name verweht wie Rauch. Um dein Bildnis in mir geht es. Zünd dein Licht an und lass mich sein wie ein Heiliges Feuer am Rande der finstern Öde, damit die im Dunkeln wissen, wo du zu finden bist.«
15. K APITEL
    Von 1512 bis 1516 malt Matthias Grünewald den Isenheimer Altar. Jeden Tag verbringt er in der Werkstatt im Antoniterkloster. Er malt, malt wie besessen. Der Altar ist alles, was zählt. Nichts sonst. Er isst und trinkt, weil sein Körper Nahrung braucht. Er schläft, um ihm die lebensnotwendige Ruhe, aus der die Kraft rührt, zu geben. Ansonsten braucht er nichts. Nicht einmal das Bewusstsein seiner selbst. Er braucht dieses Bewusstsein jetzt nicht, er ist ein Werkzeug Gottes, auf der Erde nur, um diesen Altar zu malen. Zur Ehre Gottes und zur Verheißung seiner Liebe. Alles andere hat keine Bedeutung. Am 9. Februar 1514 stirbt Uriel von Gemmingen, und seine Anstellung als Hofmaler erlischt. Schon am 9. März des gleichen Jahres ist ein neuer Erzbischof bestimmt, Albrecht von Brandenburg, der Matthias nicht in seinen Dienst übernimmt.
    Matthias erfährt es, doch er nimmt es nicht zur Kenntnis. Briefe aus Frankfurt treffen in Isenheim ein. Seine

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