Der Mann auf dem Balkon
tranken Martin Beck, Gunvald Larsson und Rönn noch eine Tasse Kaffee. Dabei sprachen sie das Ergebnis des Verhörs noch einmal durch. Gunvald Larsson sagte zum Schluß: »Meint ihr, daß es sehr lange gedauert hat?«
»Ja«, sagte Martin Beck.
»Doch, der Meinung bin ich auch«, stimmte Rönn zu. »Wißt ihr«, sagte Gunvald Larsson leicht belehrend, »es galt, den Hergang von Beginn an aufzurollen und damit eine Art Vertrauensverhältnis herzustellen.« »Aha«, sagte Rönn.
»Ehrlich gesagt, ich bin der Meinung, daß es verdammt viel Zeit in Anspruch genommen hat«, schloß Martin Beck. Dann fuhr er nach Hause, trank noch eine Tasse Kaffee und ging zu Bett.
Er lag wach im Dunkeln und grübelte. Und konnte den Gedanken doch nicht fassen.
17
Beim Erwachen am nächsten Morgen fühlte sich Martin Beck alles andere als frisch. Er konnte sich aber damit trösten, daß er nach dem vielen und obendrein recht spät getrunkenen Kaffee überhaupt geschlafen hatte. Immer wieder von Alpträumen hochgeschreckt, war er schließlich mit einem bohrenden Schmerz in der Magengegend erwacht. Beim Frühstück kam es zu einem heftigen Streit mit seiner Frau wegen irgendeiner Kleinigkeit, die er fünf Minuten nach Verlassen der Wohnung schon wieder vergessen hatte.
Seine Rolle bei dem Streit war übrigens ziemlich passiv gewesen. Seine Frau hatte den Hauptanteil des Dialogs bestritten.
Müde, mit sich selbst unzufrieden und mit tränenden Augen nahm er die Untergrundbahn nach Slussen, stieg um und fuhr weiter nach Midsommarkransen, um kurz sein eigenes Dienstzimmer in der Västberg alle aufzusuchen. Er weigerte sich konsequent, selbst zu chauffieren, obwohl die Straße von Bagarmossen zu seiner Dienststelle im südlichen Stockholm recht gut war und er eine Menge Zeit gespart hätte. Das war einer der ewigen Streitpunkte zwischen ihm und Inga, seiner Frau. Als sie außerdem noch erfuhr, daß der Staat den Polizeibeamten, die ein eigenes Auto benutzen, 46 Öre Kilometergeld zahlt, war sie immer öfter darauf zurückgekommen.
Martin Beck nahm den Fahrstuhl zum dritten Stock, drückte den entsprechenden Zifferncode auf der Nummernscheibe draußen vor der Glastür, nickte dem Wachhabenden zu und ging in sein Dienstzimmer. Aus dem Aktenstapel auf dem Tisch sortierte er die Papiere heraus, die er mit in die Kungsholmsgatan nehmen wollte.
Auf dem Schreibtisch lag auch eine bunte Ansichtskarte, die einen Esel, eine Scheune, ein rundliches, schwarzäugiges kleines Mädchen mit einem Korb Apfelsinen und eine Palme zeigte. Sie kam von Mallorca, wo der Jüngste der Abteilung, Äke Stentström, seinen Urlaub verlebte. Adressiert war sie an »Martin Beck und die Jungens«. Martin Beck brauchte eine Weile, um das mit einem klecksenden Kugelschreiber Gekritzelte zu entziffern.
Wundert Ihr Euch, wo alle schönen Mädchen geblieben sind? Sie müssen meinen Aufenthaltsort herausgekriegt haben. Wie kommt Ihr ohne mich zurecht? Schlecht, nehme ich an. Aber haltet aus, vielleicht komme ich zurück. Äke.
Martin Beck lächelte und stopfte die Karte in die Jackentasche. Dann setzte er sich hin, suchte die Rufnummer der Familie Oskars-son heraus und zog das Telefon zu sich heran.
Es meldete sich Herr Oskarsson. Er sagte, die anderen Familienmitglieder seien gerade nach Hause gekommen. Wenn Martin Beck sie sprechen wolle, solle er so schnell wie möglich kommen, da sie vor der Abreise noch allerhand zu erledigen hätten.
Martin Beck bestellte ein Taxi, und zehn Minuten später klingelte er an der Tür zu Oskarssons Wohnung. Herr Oskarsson öffnete und führte ihn zum Sofa in dem hellen Wohnzimmer. Von den Kindern war nichts zu sehen, doch Martin Beck hörte ihre Stimmen aus ei-nem der anderen Räume. Frau Oskarsson stand am Fenster. Sie bügelte. Als er ins Zimmer kam, sagte sie: »Entschuldigen Sie mich, ich bin gleich fertig.«
»Es tut mir leid, daß ich stören muß«, sagte Martin Beck. »Aber ich hätte gerne noch einmal mit Ihnen gesprochen, bevor Sie abreisen.«
Herr Oskarsson nickte und setzte sich in einen Ledersessel auf der anderen Seite des langen Couchtisches.
»Wir wollen Ihnen natürlich gerne helfen«, sagte er. »Meine Frau und ich wissen nur wirklich nichts. Wir haben auch noch mal mit Lena gesprochen. Sie scheint auch nicht mehr zu wissen, als sie bereits erzählt hat. Leider.«
Seine Frau stellte das Bügeleisen hin und sah ihn an. »Gott sei Dank, würde ich lieber sagen«, meinte sie.
Sie zog den Stecker heraus und setzte
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