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Der Mann auf dem Balkon

Der Mann auf dem Balkon

Titel: Der Mann auf dem Balkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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Strafzettel hinter den Scheibenwischer geklemmt. Er faltete zerstreut das gelbe Einzahlungsformular zusammen und stopfte es in die Tasche. Nettes Mädchen, dachte er. Ähnelt wirklich Gun, frage mich, warum…
    Und dann setzte er sich hinter das Lenkrad und dachte, daß dies beinahe der perfekte Abklatsch eines schlechten Romans sei.
    Im Hauptquartier der Ermittlungsabteilung sagte Gunvald Larsson lebhaft: »Das ist entscheidend. Er ist sexuell normal, und er kann als glaubwürdiger Zeuge angesehen werden. Alles verlorene Zeit.«
    Kollberg grübelte einen Augenblick lang über das mit der verlorenen Zeit. Dann fragte er: »Wo ist Martin?«
    »Ausgegangen, um einen Säugling zu vernehmen«, antwortete Gunvald Larsson.
    »Und sonst?«
    »Nichts.«
    »Hier ist etwas«, sagte Melander und sah von seinen Papieren auf.
    »Was denn?«
    »Ein Gutachten der Psychologen. Ihre Stellungnahme.«
    »Oh«, sagte Gunvald Larsson. »Unglückliche Liebe.«
    »Nein«, entgegnete Melander ernsthaft. »Da bin ich nicht so sicher.«
    »Nimm die Pfeife aus dem Mund, damit man versteht, was du sagst«, forderte Kollberg ihn auf.
    »Sie schreiben hier etwas, eine Erklärung. Recht plausibel und sehr beunruhigend«, fuhr Melander fort.
    »Wie das?« wollte Gunvald Larsson wissen. »Kann es noch beunruhigender werden, als es ist?«
    »Im Hinblick darauf, daß der Mann nicht in unserer Kartei zu finden ist«, erklärte Melander ungerührt. »Sie schreiben, daß er sehr wohl nicht vorbestraft sein kann. Er kann lange vor sich hin leben, ohne daß seine abartigen Neigungen zum Ausdruck kommen. Die Befriedigung sexueller Perversität kann im großen und ganzen mit Rauschgift verglichen werden. Das ist mit ausländischen Beispielen belegt. Eine Person, die sexuell anomal ist, kann jahrelang als Exhibitionist oder Fenstergucker auftreten und sich auf diese Art abrea-gieren. Aber wenn so ein Mensch aus irgendeinem Impuls heraus eine Vergewaltigung begeht oder einen Sexualmord, kann sich der Betreffende in Zukunft auf keine andere Art als durch neue Vergewaltigungen oder Morde befriedigen.«
    »Wie die alte Sache mit dem bösen Einsiedlerbären«, dachte Gunvald Larsson laut, »ein Bär, der einmal eine Kuh geschlagen hat und so weiter.«
    »Genau wie ein Rauschgiftsüchtiger mit der Zeit zu immer stärkeren Giften greifen muß«, fuhr Melander fort und blätterte im Gutachten. »Ein Süchtiger, der mit Haschisch beginnt und dann später zu Heroin übergeht, kann sich nicht wieder mit Haschisch begnügen. Das Verhalten eines sexual Abartigen kann genauso sein.«
    »Das klingt vernünftig«, meinte Kollberg, »aber etwas simpel.«
    »Ich finde, daß es verteufelt beängstigend klingt«, sagte Gunvald Larsson.
    »Es kommt noch viel beängstigender«, sagte Melander. »Hier steht, daß ein Mensch eine lange Reihe von Jahren leben kann, ohne daß seine Perversität irgendwie zum Ausdruck kommt. Er braucht noch nicht einmal zu onanieren oder sich pornographische Bilder anzusehen, geschweige denn als Exhibitionist oder Fenstergucker aufzutreten. Er kann sich jahrelang nur gedanklich mit allen möglichen Perversionen beschäftigen, ohne um seine wirkliche Veranlagung zu wissen, bis plötzlich ein zufälliger Impuls eine Gewalttat auslöst Dann kann er nicht mehr davon los, er muß die Tat wiederholen -mit wachsender Rücksichtslosigkeit und vermutlich mit immer größerer Bestialität.«
    »Wie Jack the Ripper ungefähr«, warf Gunvald Larsson ein.
    »Und der Impuls?« fragte Kollberg.
    »Kann durch verschiedenste Ursachen ausgelöst werden. Eine zufällige Situation, eine psychische Schwäche, Krankheit, Alkohol, Narkotika. Wenn ein solcher Tatsachenbestand vorliegt, wird man in der Vergangenheit des Täters keinen Hinweis finden. Die polizeilichen Unterlagen sind wertlos, genau wie die Journale der Krankenhäuser und der Ärzte. Nichts deutet auf so eine Entwicklung hin. Aber wenn er einmal begonnen hat, zu vergewaltigen oder zu töten, kann er nicht wieder aufhören. Er ist auch außerstande, sich selbst zu stellen oder sein Handeln selbst zu steuern.«
    Melander schwieg einen Augenblick. Dann pochte er mit den Fingerknöcheln auf das fotokopierte Gutachten und fuhr fort: »Einiges in dieser wissenschaftlichen Darlegung stimmt beängstigend genau mit unserem Fall überein.«
    »Ich kann mir eine Menge anderer Erklärungen denken«, entgegnete Gunvald Larsson gereizt. »Es kann sich zum Beispiel um einen Fremden, um einen zufällig durchreisenden

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