Der Mann auf dem Balkon
brummte vor sich hin, während er den Fahrschein untersuchte.
»Möglich, aber kaum wahrscheinlich«, sagte Martin Beck. »Zuerst hat ihn der Fahrkartenverkäufer angefaßt. Danach selbstverständlich unser mutmaßlicher Mörder. Der Kleine selbst hat ihn bis Montag in der Tasche gehabt zusammen mit Schnecken und was weiß ich. Und ich habe ihn ebenfalls angefaßt, wie ich zu meiner Schande gestehen muß. Außerdem ist er ganz zerknittert und verquollen. Wir werden es natürlich versuchen. Aber seht euch doch erst die Lochungen an.«
»Das habe ich bereits«, sagte Kollberg. »Der Fahrschein wurde am 12. um 13 Uhr 34 gelocht. Der Monat ist nicht ersichtlich. Das kann also bedeuten…«
Er schwieg, und alle drei waren sich sofort über die Bedeutung im klaren. Melander durchbrach die Stille.
»Diese Art Ein-Kronen-Fahrscheine, Typ 100, werden nur im Zentrum ausgegeben«, sagte er. »Vielleicht kommen wir auf diese Weise weiter. Da sind noch zwei andere Nummern drauf.«
»Rufe SS an«, sagte Kollberg.
»Das heißt jetzt SL«, entgegnete Melander.
»Ich weiß. Aber es steht, zum Teufel, immer noch SS auf den Uniformknöpfen. Sie haben vermutlich kein Geld für neue. Kaum zu verstehen, wenn es von Gamla Stan nach Slussen eine Krone kostet. Wieviel kostet so ein Knopf?«
Melander war bereits im anderen Zimmer. Der Fahrschein lag nach wie vor auf dem Tisch. Vermutlich hatte er ihn - mit Seriennummer und allem Drum und Dran - gedanklich fotografiert. Sie hörten ihn den Hörer abnehmen und dann wählen.
»Hat das Kerlchen noch mehr gesagt?« fragte Kollberg. Martin schüttelte den Kopf.
»Nur das. Daß er mit dem Mädchen zusammen war und daß sie einen Onkel trafen. Daß er später den Fahrschein hervorkramte war reiner Zufall.«
Kollberg wippte auf dem Stuhl hin und her und kaute an seinem Daumennagel.
haben also einen Zeugen, der vermutlich den Mörder gesehen und mit ihm gesprochen hat. Leider ist dieser Zeuge erst drei Jahre alt. Wenn er doch nur etwas älter wäre…«
»Dann wäre es nie geschehen«, unterbrach ihn Martin Beck, »auf jeden Fall nicht dort und zu diesem Zeitpunkt.«
Melander kam zurück.
»Sie rufen wieder an«, sagte er.
Das Gespräch kam nach einer Viertelstunde. Melander nahm es entgegen und machte sich Notizen. Dann sagte er: »Danke« und legte auf.
Der Fahrschein war ganz richtig am 12. Juni ausgegeben worden, und zwar an der nördlichen Sperre der U-Bahn-Station Rädmansgatan. Zu dieser Sperre gelangte man nur durch die beiden neben der Handelshochschule gelegenen Eingänge auf dem Sveavägen.
Martin Beck kannte das U-Bahn-Netz von Stockholm, trat aber sicherheitshalber noch einmal an die Wandkarte.
Wenn die Person, die den Fahrschein in der Rädmansgatan gekauft hatte, auf dem Weg zum Tantolunden gewesen war, hatte sie in einer der drei U-Bahn-Stationen - T-Centralen, Gamla Stan oder Slussen - umsteigen müssen. Nur so kam man zur Station Zinkensdamm. Von dort aus waren es nur fünf Minuten bis zu der Stelle, wo man das tote Mädchen gefunden hatte. Die Fahrt war zwischen halb zwei und Viertel vor zwei angetreten worden und hatte mit Umsteigen etwa zwanzig Minuten gedauert. Der Mann mußte also zwischen fünf vor zwei und zehn nach zwei im Tantolunden angekommen sein. Nach Aussage der Ärzte war das Mädchen zwischen halb drei und drei, möglicherweise etwas früher, gestorben.
»Die Zeiten stimmen«, sagte Martin Beck.
Im gleichen Augenblick sagte Kollberg: »Zeitmäßig kommt es hin.« Für ihn begann die Spur heiß zu werden.
Melander meinte zögernd, beinahe mehr zu sich selbst: »Die Station Rädmansgatan ist nicht weit vom Vanadislunden entfernt.«
»Schon«, stimmte Kollberg zu, »aber was sagt uns das? Nichts. Nur, daß er von einer städtischen Parkanlage zur anderen mit der U-Bahn fährt und kleine Mädchen ermordet. Weshalb hat er übrigens nicht den Bus 55 genommen? Damit wäre er ganz hingekommen und hätte nicht noch ein Stück laufen müssen.«
»Und wäre vermutlich festgenommen worden«, sagte Melander.
»Ja«, meinte Kollberg, »der Bus ist in der Regel nicht sehr voll, würde sich der Schaffner an die Fahrgäste erinnern.«
Manchmal wünschte Martin Beck, daß Kollberg nicht so redsei wäre. Gerade jetzt kam ihm wieder der Gedanke, während er den Umschlag mit dem Fahrschein zuklebte; eine Erinnerung wollte sich in sein Bewußtsein drängen, die aber durch Kollbergs Gerede gleich wieder versank. Nun war der Augenblick verpaßt.
Nachdem er den
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