Der Mann auf dem Balkon
Umschlag ins Laboratorium geschickt hatte, rief er dort an und bat um eine möglichst schnelle Erledigung. Der Mann, der antwortete, hieß Hjelm, und Martin Beck kannte ihn seit vielen Jahren. Hjelm machte einen gehetzten Eindruck und schien schlechter Laune zu sein. Er erkundigte sich ein wenig gereizt, ob die Herren in der Kungsholmsgatan und der Västerberg alle wüßten, wieviel er zu tun habe. Martin Beck versicherte ihm, daß die übermenschlichen Leistungen des Labors allgemein bekannt seien und daß er gerne hinüberkommen würde, um zu helfen, wenn er nur die ausreichende Qualifikation für eine so viel Fachkenntnis erfordernde Arbeit hätte. Hjelm brummte und versprach, sich den Fahrschein sofort vorzunehmen.
Kollberg ging zum Essen, und Melander machte die Tür zum Nebenzimmer zu. Dann sagte er: »Wir haben den Namen der Frau, die an der Sperre Rädmansgatan den Fahrschein verkauft hat. Soll ich jemand bei ihr vorbeischicken?«
»Ja, auf alle Fälle«, sagte Martin Beck.
Er setzte sich an den Tisch, blätterte in den Papieren und versuchte nachzudenken. Er war gereizt und nervös und nahm an, daß das an seiner Übermüdung lag. Einmal steckte Rönn den Kopf zur Tür herein, sah ihn an und verschwand, ohne ein Wort zu sagen. Sonst blieb er ungestört. Sogar das Telefon war lange Zeit still. Gerade als Martin Beck das Gefühl hatte, in der nächsten Minute am Schreibtisch einzuschlafen, etwas, was ihm noch nie passiert war, klingelte es. Während er den Hörer abnahm, sah er auf die Uhr. Zwanzig nach zwei. Immer noch Freitag. Bravo, Hjelm, dachte er. Doch es war nicht Hjelm, sondern Ingrid Oskarsson.
»Entschuldigen Sie, daß ich störe«, sagte sie. »Sie werden sicher sehr beschäftigt sein.«
Martin Beck murmelte eine Entgegnung und spürte selbst, wie wenig begeistert sich das anhören mußte.
»Aber Sie haben gesagt, ich solle anrufen. Vielleicht bedeutet es nichts, aber ich dachte, ich sollte es Ihnen sagen.«
»Gewiß, entschuldigen Sie… aber ich habe Ihren Namen nicht erstanden, als Sie sich meldeten. Was ist los?«
»Ja, Lena erinnert sich plötzlich an etwas, was Bosse Montag in Park gesagt hatte. Als… es passierte.«
»Ja? Was war es?«
»Er behauptete, Tagpappa gesehen zu haben.«
»Tagpappa?« wiederholte Martin Beck verständnislos. Und dachte: Gibt es denn so etwas?
»Ja, Bosse war Anfang des Jahres bei einer Pflegemutter. Es gibt ja fast keine Kindertagesstätten, und ich wußte nicht, wo ich ihn während der Arbeitszeit lassen sollte. Deshalb hatte ich inseriert und fand dann eine Pflegestelle für ihn in der Timmermansgatan.«
»Aber haben Sie nicht ›Tagpappa‹ gesagt? Oder habe ich mich verhört!«
»Keineswegs. Tagpappa, das ist der Mann der Pflegemutter. Er war zwar nicht den ganzen Tag über da, kam aber früher nach Hause. Bosse hat ihn fast täglich gesehen und fing an, ihn Tagpappa zu nennen.«
»Und Bosse hat Lena gesagt, daß er ihn am Montag im Tantolunden getroffen hat?« Martin Beck spürte die Müdigkeit verschwinden, zog den Notizblock näher und suchte in der Tasche nach einem Kugelschreiber.
»Ja, genau das«, bestätigte Frau Oskarsson.
»War das, bevor er weg war oder nachher?«
»Lena ist sicher, daß er es erst danach gesagt hat. Deshalb dachte ich auch, daß ich es Ihnen sagen sollte. Es besteht sicher kein Zusammenhang. Der Mann hatte einen netten und ordentlichen Eindruck auf mich gemacht. Aber wenn Bosse ihn dort getroffen hat, so kann vielleicht er während seines Spaziergangs etwas gesehen oder gehört haben…«
Martin Beck setzte den Kugelschreiber aufs Papier und fragte: »Wie heißt er?«
»Eskil Engström. Er ist Kraftfahrer, glaube ich. Sie wohnen in der Timmermansgatan. Die Nummer habe ich vergessen, warten Sie bitte, ich sehe gleich mal nach.«
Nach einigen Minuten kam sie zurück und gab ihm die Anschrift und die Telefonnummer.
»Er machte einen so netten Eindruck«, wiederholte sie. »Ich habe ihn oft getroffen, wenn ich Bosse abholte.«
»Hat Bosse noch mehr über diese Begegnung gesagt«, fragte Martin Beck.
»Nein. Wir haben versucht, ihn darüber auszufragen, aber er hat das wohl alles inzwischen vergessen.«
»Wie sieht der Mann aus?«
»Tja, das ist schwer zu sagen. Nett. Etwas schmuddelig vielleicht, aber das liegt wohl an seiner Arbeit. Er ist so Ende Vierzig, würde ich sagen, und hat ziemlich schütteres Haar. Sieht ganz alltäglich aus.«
Martin Beck machte sich schweigend Notizen. Dann fragte er: »Wenn ich
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