Der Mann auf dem Balkon
Mädchens gegen einen Stein geschlagen und es dann erwürgt. Dann hatte er ihm den roten Plastemantel und die Kleidung zerrissen und den Schlüpfer ausgezogen. Zuletzt hatte er ihm etwas, was einem alten Hammerstiel ähnelte, in den Unterleib gerammt.
Um alles noch entsetzlicher zu machen, hatte ausgerechnet die Mutier das Kind finden müssen. Das Mädchen hatte Solveig geheißen und war älter als die früheren Opfer. Es war bereits über elf Jahre alt. Es wohnte in der Dannemoragatan, knapp fünf Minuten vom Ort des Verbrechens entfernt. Soweit bis jetzt bekannt war, hatte es eigentlich keinen Grund für seinen Aufenthalt im Park gegeben. Es war von zu Hause fortgegangen, um sich am Kiosk eine Tafel Schokolade zu kaufen. Der Kiosk steht an der Ecke Dannemoragatan -Norra Stationsgatan, kurz vor dem Parkeingang. Der Einkauf selbs' konnte nicht länger als zehn Minuten gedauert haben, und dem Mädchen war bereits früher verboten worden, im Park zu spielen, was es auch niemals getan hatte. Schon nach einer Viertelstunde war die Mutter hinausgegangen, um nach ihm zu suchen. Sie hatte nicht begleitet, weil sie noch ein anderthalbjähriges Töchterchen hatte, auf das sie aufpassen mußte. Sie hatte die Leiche fast sofort gefunden, war völlig zusammengebrochen und lag bereits im Krankenhaus.
Die Männer standen im Nieselregen und blickten auf das tote Kind. Sie fühlten sich weit schuldiger an diesem so abscheulichen und sinnlosen Mord als der Täter selber. Die Schlüpfer und die Schokolade hatte man nicht gefunden. Vielleicht war Ingemund Fransson hungrig gewesen und hatte die Schokolade mitgenommen, um sie aufzuessen.
Daß er der Mörder war, stand fest. Zur weiteren Bestätigung fand sich obendrein ein Zeuge, der ihn mit dem Mädchen hatte sprechen sehen. Aber es hatte so zutraulich gewirkt, daß der Zeuge der Meinung gewesen war, einen Vater mit seiner halbwüchsigen Tochter vor sich zu haben. Ingemund Fransson war ja nett und freundlich und vertrauenerweckend. Er trug eine beigefarbene Manchesterjacke, braune Hosen, ein weißes, am Hals offenstehendes Hemd und saubere schwarze Schuhe.
Der verschwundene Schlüpfer war hellblau.
»Der Kerl muß noch irgendwo hier in der Nähe sein«, sagte Kollberg.
Ganz in der Nähe donnerte der dichte Verkehr auf der Sankt Eriksgatan und der Norra Stationsgatan. Martin Beck blickte über den ausgedehnten Güterbahnhof und sagte ruhig: »Durchsucht jeden einzelnen Güterwagen, jedes Lagerhaus, jeden Keller, jeden Boden hier in der näheren Umgebung. Jetzt. Sofort.«
Dann drehte er sich um und ging. Es war fünfzehn Uhr am Dienstag, dem 20. Juni. Es regnete.
29
Die Razzia begann gegen siebzehn Uhr. Sie wurde um Mitternacht nicht beendet und in den frühen Morgenstunden sogar noch intensiviert.
Jeder Mann, den man für die Fahndung freistellen konnte, war auf den Beinen, jeder Hund war draußen und jeder Streifenwagen unterwegs. Die Jagd konzentrierte sich zuerst auf die nördlichen Stadtteile, dehnte sich dann über die gesamte Innenstadt aus und verzweigte sich noch bis in die Außenbezirke.
Stockholm ist eine Stadt, in der im Sommer viele tausend Menschen im Freien schlafen. Nicht nur Landstreicher, Strolche, Rauschgiftsüchtige und Alkoholiker, sondern auch die vielen zufälligen Besucher, die kein Hotelzimmer finden können, und genauso viele Obdachlose, die voll arbeitsfähig und im großen und ganzen gesehen ordentlich und sauber sind, die aber infolge einer mißglückten Gesellschaftsplanung ganz einfach keine Wohnmöglichkeit finden. Sie schlafen auf Parkbänken und auf alten Zeitungen, die sie auf der Erde ausbreiten, unter Brücken, auf Kaianlagen und in Hinterhöfen. Mindestens ebenso viele suchen sich eine vorübergehende Unterkunft in zum Abbruch bestimmten Häusern, in halbfertigen Neubauten, in Luftschutzräumen, Garagen, Eisenbahnwagen, Treppenhäusern, Kellern, Böden und Geräteschuppen. Oder in kleinen Frachtschiffen, Motorbooten und alten Wracks. Viele treiben sich in den U-Bahn-Stationen oder auf dem Centralbahnhof herum oder richten sich auf Sportplätzen ein. Die Geschickten unter ihnen können ohne große Schwierigkeiten in dem unterirdischen Kommunikationssystem Unter den Gebäuden der Innenstadt mit seinem Wirrwarr von Korridoren und Verbindungstunneln hausen.
Polizisten in Zivil und Uniform .scheuchten in dieser Nacht Tausende von diesen Menschen hoch, zwangen sie auf die Füße, richteten Taschenlampen auf schlaftrunkene Gesichter und
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