Der Mann auf dem Einhorn
Hiebes schlug einen zwei Finger tiefen Riss in das Metall. Die Axt entglitt den gefühllos gewordenen Fingern des Wildländers.
Mythor ließ den Zügel los, beugte sich aus dem Sattel und packte den Angreifer am Schultergurt. Die Nähte des Fellmantels rissen knirschend. Die Kapuze fiel nach hinten und enthüllten ein bärtiges Gesicht. Dunkle Augen blitzten Mythor wütend an. Das Pferd machte einige Sätze, und der Körper des Mannes wurde über den Schnee gezerrt.
Mythor erkannte, dass er nicht gegen Rotten von Waldbewohnern gekämpft hatte, sondern gegen ausgebildete Krieger. Sie waren nicht so geschult wie die erbarmungslosen Armeen des Herzogtums Caer, aber ihnen haftete nichts mehr von Fallenstellern und Jägern an. Er warf den Mann in den Schnee, der Körper überschlug sich und blieb liegen, während der Rappe auf die nächsten Verteidiger des einsamen Berges zutrabte.
»Sie verteidigen den Berg! Das ist die Erklärung!« murmelte Mythor grimmig und hob das Schwert.
Aber immer mehr Wildländer schoben sich zwischen ihn und den Fuß der Bergseite. Flüchtig glaubte Mythor so etwas wie Gerüste zu sehen und, aus der Bergflanke vorspringend, die kantigen Formen menschlicher Riesengesichter. Aber schon glitt sein Blick wieder nach unten und heftete sich wieder auf die zahlreichen Wildländer. Sie bildeten jetzt in ihrer Gesamtheit eine Art Halbkreis, dessen Enden sich ihm entgegenwölbten. Die Falle war aufgestellt und würde sich bald als dichter Kreis um ihn geschlossen haben.
Mythor fiel eine einfache List ein. Er hatte weder die Absicht noch das Bedürfnis, Männer zu verletzen und zu töten, die ihm nichts getan hatten.
Er lächelte kühl und ritt unverändert schnell auf den Mittelpunkt der Verteidigungslinie zu. Vor ihm blitzten zahlreiche Schwerter und Lanzenspitzen auf. Die Wildländer in ihren Fellen gehorchten zweifellos jemandem, der die Höhle und den Tafelberg beherrschte. Mythor schwang das Schwert, als wolle er angreifen. Die vorderste Linie kam immer näher, er zügelte das Pferd und sah sich um, als wolle er zurückreiten und flüchten. Aber die Enden der sichelförmigen Umzingelung begannen sich bereits zu schließen. Mythor zwang den wiehernden Rappen zweimal, sich um seine eigene Achse zu drehen, dann machte er abermals einen schnellen Ausfall zu der Stelle, an der die Verteidiger am dichtesten standen.
Sein Plan war riskant, versprach aber viel.
Er wirbelte mit dem Schwert drei Männern die Waffen aus den Händen und schlug einen vierten mit der flachen Klinge in den Schnee. Dann hielt er das Schwert waagrecht über seinen Kopf, parierte das Pferd und schob langsam Alton zurück in den breiten Gürtel.
»Hört auf!« rief er in Gorgan, der Sprache der nördlichen Welt. »Ich will nicht gegen euch kämpfen. Ich ergebe mich!«
Mehrere Männer traten vor, die Spitzen ihrer Lanzen auf die Brust des Pferdes gerichtet. Einer sagte in kehligem Tonfall: »Du kommen. Wir auch nicht töten. Zum Berg, in drei Höhlen.«
»Ich werde nicht fliehen!« versprach Mythor und hob den Männern die Handflächen entgegen.
»Kommen jetzt!«
Ein schweigender Kreis schloss sich um Mythor. Da er die Gesichter nicht sehen konnte, vermochte er nicht abzuschätzen, wie groß die Drohung war. Aber Hunderte von Speeren oder anderen Waffen richteten sich ins Innere des Kreises. Die Wildländer trieben Mythor auf den Tafelberg zu. Auch jetzt bestätigte sich Mythors erster Eindruck, dass zumindest diese große Gruppe der Wildländer gut ausgebildet war und einem Befehl gehorchte.
Noch vierhundert Schritt waren es etwa bis zur Flanke des Berges.
Mythor ließ den Rappen im Schritt gehen, bis ein Wildländer an den Zügel griff und das Pferd führte. Das Staunen Mythors wurde größer, als er in dem diffusen Licht mehr Einzelheiten erkannte.
Aus dem Felsen waren Gesichter herausgeschlagen und gemeißelt worden.
Riesengroße Gesichter, viel größer als jenes, das er in den Ruinen des verwunschenen Tales bewundert hatte, starrten ihn an und blickten, seiner Schätzung nach, in die Richtung des verwunschenen Tales. Trotz der einfachen Holzgerüste, die wie Netze seltsamer Spinnen in den Spalten und Rissen des Felsens hingen, erkannte Mythor die Fremdheit der Köpfe. Ein böser, dämonischer Ausdruck lag in jenen Mündern, strahlte ihm aus den blinden Augen entgegen. Das Vorhandensein der Gerüste bewies, dass die Bildhauer noch an den Fratzen arbeiteten, aber jetzt vermochte Mythor keine Meißel und
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