Der Mann auf dem Einhorn
inne.
Er warf einen schweigenden Blick nach unten. Eine einzelne Gestalt rannte wie von Furien gehetzt aus dem Höhleneingang. Sie trug eine auflodernde Fackel. Nach einigen Herzschlägen erkannte Mythor den Bildhauer. Urzuguhr sah gerade noch, wie ein paar große Trümmer in dem Inferno aus Krachen und Stöhnen herunterpolterten.
»Nein!« schrie Urzuguhr auf.
Mythor schwang sich herum, holte aus und trennte mit einem Schlag, dessen Wucht seinen Körper erschütterte, ein kantiges Ohr ab.
»Aufhören!« donnerte Urzuguhrs Stimme.
Eine Horde Wildländer brach aus dem Höhleneingang hervor und versammelte sich hinter Urzuguhr. Fast alle Kapuzenmänner trugen Waffen. Mythor lachte rau auf und holte wieder aus. Abermals brach eine Nase ab und hinterließ ein kantiges Loch in einem Gesicht. Ein Teil des Gerüsts stürzte polternd zusammen.
»Die Gesichter sterben! Du bringst sie alle um, Fremder. Bist du wahnsinnig geworden?« brüllte der Bildhauer zu Mythor herauf.
Mythor schrie zurück: »Ich vernichte die Dämonenfratzen. Sie sind das Werk des Bösen. Ich bin der wahre Helfer des Lichtboten!«
»Du vernichtest das Werk meines Lebens. Haltet ihn auf!« brüllte Urzuguhr voller Furcht.
»Das Werk deines Lebens«, gab Mythor zurück, »ist das Werk des Bösen. Es hat nichts mit dem Lichtboten zu tun.«
In der anderen Hand hielt Urzuguhr sein schweres Beil. Er lief, die Kapuzenleute hinter sich, auf den Trümmerhaufen an der Felsflanke zu. Mehrmals rutschte er auf dem festgetretenen Schnee aus, einmal fiel er schwer in eine Schneewehe. Die Wildländer halfen ihm auf die Beine. Dort, wo die Leiter gewesen war, blieben sie alle stehen. Wieder kam von oben das Klirren, abermals sauste ein Stück eines Gesichts abwärts und blieb, in Trümmer zerfallend, vor Urzuguhrs Füßen liegen.
»Alle diese Jahre habe ich umsonst gearbeitet!« schrie Urzuguhr. »Mein Lebenswerk ist zerstört.«
Mythor wartete darauf, dass Urzuguhr Drudins Namen oder den Begriff der Schwarzen Magie erwähnte. Einen Augenblick lang tat ihm der verkrüppelte, bucklige Bildhauer wirklich leid, denn auch er war ein Opfer der Caer-Priester. Oder hatte ein noch Mächtigerer als Drudin ihm vor einer Handvoll Jahren den Auftrag gegeben, dämonische Gesichter aus den Felsen zu meißeln?
»Noch nicht ganz. Ich werde dem Bösen aus der Schattenzone Einhalt gebieten«, antwortete Mythor und schlug ein Kinn mit gezielten Hieben in Stücke. Er war selbst verwundert über die Fähigkeit des Schwertes, dessen Schneide nicht die winzigste Scharte zeigen würde, sollte er bei Tageslicht noch Gelegenheit haben, dies nachzuprüfen.
Als die Bruchstücke abwärts krachten, hob Urzuguhr seine Axt. Er stürzte vor und legte den rechten Arm auf ein Stück der zerbrochenen Bildwerke. Die Axt fuhr herunter, ein knirschender Schlag ertönte und ein Aufschrei des Entsetzens ging durch die Gruppe der Wildländer.
Urzuguhr hatte sich die rechte Hand am Handgelenk abgetrennt!
Er presste den blutenden Stumpf gegen seine Brust, stöhnte und ächzte lauter als die steinernen Gesichter und warf die Axt zur Seite. Dann rannte er nach rechts, packte die Sprosse der nächsten Leiter und kletterte wie ein Rasender aufwärts. Er rannte auf das erste Gerüst, schwang sich auf die nächste Leiter und kam immer höher, bis er schließlich auf dem größten und obersten Kopf stand.
»Ergreift diesen Frevler!« schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Tötet ihn und werft ihn vom Rand des Berges!«
Mythor sah dem Buckligen zu, von Entsetzen und Schauder gepackt. Sein grausilberner Bart flatterte im Wind, als er die letzte Leiter fasste und sich, durch den Blutverlust geschwächt und in den Bewegungen behindert, von Sprosse zu Sprosse höher zog .
Auch alle Wildländer starrten hinauf zur Kante zwischen Hang und Fläche des Tafelberges.
Urzuguhr erreichte sie, stand langsam auf und hob seine Arme beschwörend in die Höhe. Ein letztes Mal ertönte seine hallende, tiefe Stimme: »Ergreift den Frevler und tötet ihn! Rächt die sterbenden Gesichter! Beendet mein Werk, nachdem ihr den Fremden der gerechten Strafe zuge...«
Er ließ sich nach vorn kippen, von Schwäche und Todessehnsucht übermannt. Sein Körper fiel ganz langsam, überschlug sich und prallte schwer gegen Kopf und Stirn eines Gesichts. Der zweite Aufprall erfolgte auf einem halb zerhackten Schädel, dessen messerscharfe Kanten die Haut zerschnitten und die Knochen brachen. Mehrmals drehte sich der Körper und
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