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Der Mann auf dem Einhorn

Der Mann auf dem Einhorn

Titel: Der Mann auf dem Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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wurde fein herausgearbeitet; jedes Haar wuchs in leichten Wellen nach hinten, und an mehreren Stellen konnte Mythor deutlich sehen, wie sich der Bildhauer die Fertigstellung vorgestellt hatte. Oder wie Drudin es geplant hatte.
    Ungerührt arbeiteten die Kapuzenmänner weiter. Trotz ihres Fleißes würde es tatsächlich noch eine Ewigkeit dauern, bis selbst diese wenigen Köpfe fertig waren. Und noch etwas bemerkte Mythor: Je glatter und fertiger die Köpfe wurden, desto mehr verstärkte sich ein fremdartiger Eindruck. Irgendeine Art von Leben sprach aus dem Stein.
    Schließlich nahm Mythor einem Mann den Meißel aus den Fingern und versuchte es selbst. Winzige Steinsplitter schlugen in sein Gesicht. Er kniff die Augen zusammen und hämmerte weiter. Voller Verblüffung merkte er, dass er keinen Fehler machte. Er grinste vor sich hin und murmelte: »Ich komme weit durchs Land und lerne viel, bei Erain!«
    Er beobachtete alles um sich herum sehr genau. Dabei entging ihm nicht, dass die Meißel auf der glatten Steinoberfläche während der letzten Verschönerungen ganz feine Linien erzeugten. Im körnigen Stein zeichneten sich, nur einen Hauch vertieft, dicht nebeneinanderlaufende Muster ab. Immer wenn Mythor versuchte, sie genau zu betrachten, verschwammen sie vor seinen Augen. Er blinzelte, blickte wieder hin, verlor sie abermals aus den Augen.
    Er lächelte grimmig, schwieg aber. Er ahnte, was diese Verzierung bedeutete. Schon aus einer Mannslänge Entfernung wurde sie gänzlich unsichtbar. Die Wildländer hämmerten sie in den Stein, ohne wirklich zu wissen, was dieser Zierrat zu bedeuten hatte.
    Er arbeitete ruhig bis zur Dämmerung und wurde immer sicherer. Sein Plan, am Morgen noch unklar und gefährlich unsicher, hatte feste Umrisse angenommen.
    Nachdem er in die Höhle zurückgeklettert war, suchte er sein Pferd. Er fand es in der hintersten Ecke der dritten Höhle, gut untergebracht in einem trockenen Verschlag. Der Sattel und das Zaumzeug hingen über einem rohen Holzpfosten. Das Tier wieherte auf, als er es tätschelte und ansprach. Mythor blickte sich unauffällig um. Niemand schien ihn zu beobachten.
    Er legte dem Rappen den Zaum um, schob aber die Trense nicht ins Maul. Er kontrollierte die Satteltaschen, aber er wagte nicht, den Sattel aufzulegen. Doch er sah auch die Gurtschnallen durch und vergewisserte sich, dass er das Gatter leicht würde aufbrechen können. Er suchte das Feuer auf, an dem Urzuguhr seine Meißel spitzen ließ. Ein Krug Wein ging von Hand zu Hand.
    Mit einem riesigen Beil, dessen geschwungene Schneide rot im Feuerschein aufblitzte, spaltete Urzuguhr schneebedeckte Holzkloben.
    »Frierst du, Fremder?« fragte er, spuckte in die Hände und hieb ein Holzstück in zwei Teile.
    Er war sicher ein schlechter Läufer, aber in seinen Schultern wohnten die Kräfte von drei Männern. Ein listiges Funkeln kam aus seinen Augen.
    »Nicht mehr. Der Wein wärmt mich.«
    »Morgen werden wir mit einem Kopf fertig. Der Einfluss des Lichtboten wächst an der Grenze zu Dandamar!«
    »So ist es. Trotzdem hungert es mich«, sagte Mythor.
    Aus dem Halbdunkel tauchte kurze Zeit später ein Wildländer auf und drückte ihm ein paar heiße Brotfladen in die Hand, in denen Fleischbrocken eingewickelt waren. Mythor aß schweigend und sah zu, wie die Meißel geschärft wurden, wie das Feuer loderte, wie die kleinen und großen Hämmer gebraucht wurden, wie sich alle diese Leute auf nichts anderes vorbereiteten als auf die Arbeit des nächsten Tages. Sie schienen irgendwie besessen zu sein. Aber er vermochte nicht, eine bösartige Besessenheit zu erkennen. Nur einmal hatte er heute einen Hauch von Schwarzer Magie verspürt.
    Er ging zu seinem Lager zurück und wartete. Später band er den Helm an seinen Gürtel, zog den Fellmantel an und wartete weiter. Als der Widerschein der meisten Feuer nicht mehr an den Felswänden zuckte, verließ er so leise wie möglich die Höhlen und kam tatsächlich unangefochten ins Freie.
    Er verhielt einige Atemzüge lang.
    Niemand schien ihm zu folgen. Aber er war ziemlich sicher, dass man ihn aus der Tiefe der Höhle heraus beobachtete. Er unterschätzte die Wildländer längst nicht mehr. Er ging betont langsam nach rechts. Als er die erste Leiter erreichte, die auf die Gerüste hinaufführte, änderten sich seine Bewegungen. Er kletterte hinauf, so schnell er konnte. Dann zog er das Gläserne Schwert und zerschnitt die mehrfach geknüpften Verbindungsstricke. Mit schnellen Griffen

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