Der Mann aus dem Safe
ein Monat und achtundzwanzig Tage. Ich zog an dem Griff, und die Tür ging auf.
Am nächsten Tag kam Amelia nach Hause.
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Kapitel vierundzwanzig
Michigan
September 2000
E s war ein komisches Gefühl, wieder im Staat Michigan zu sein. Ich hätte nie geglaubt, dass ich noch mal hierher zurückkommen würde, und fragte mich bei jedem dahinfliegenden Kilometer, ob ich nicht einen großen Fehler beging. Trotzdem fuhr ich weiter. Diese plötzliche, unerwartete Chance, Amelia noch einmal zu sehen, und sei es nur für einen kurzen Moment … dem konnte ich nicht widerstehen.
Ich fuhr zuerst durch Milford, das sich nicht verändert zu haben schien. Bis ich zu der scharfen Kurve kam und meine erste Überraschung erlebte. Das Flame war weg. An seiner Stelle stand jetzt ein gesichtsloses Familienrestaurant, eins von der Sorte, in das die Leute am Sonntag nach der Kirche gehen. Und – der Schnapsladen war auch weg. Ersetzt durch ein Weingeschäft, ausgerechnet. Ein nicht ganz so edles wie Julians, aber immerhin. Unter anderen Umständen hätte mich das zum Lachen gebracht.
Ich wusste nicht, ob Onkel Lito noch in dem kleinen Haus wohnte. Wenn der Schnapsladen weg war, konnte er schließlich sonst wo sein.
Ich bog in die kleine Gasse hinter dem Laden ab, die zum Haus führte. Den alten zweifarbigen Grand Marquis sah ich nirgends. Ich parkte das Motorrad und ging zur Tür, spähte durchs Fenster. Sah dort denselben Tisch, dieselben Holzstühle. Dieselbe abgewetzte Couch.
Ich holte mein Werkzeug heraus und öffnete fix die Tür. Eines der ersten Schlösser, an denen ich damals geübt hatte. Heute brauchte ich nicht mehr als eine Minute dazu.
Drinnen empfing mich der vertraute Geruch nach Zigarrenqualm und Einsamkeit. Ich ging durch das Wohnzimmer und die Küche nach hinten zu meinem alten Zimmer. Auf dem Bett lag bergeweise Schmutzwäsche, sonst hatte sich nichts verändert. Es war wirklich seltsam, wieder hier zu sein, nach allem, was ich erlebt hatte … Laut Kalender war nur ein Jahr vergangen, aber es kam mir vor wie ein ganzes Leben.
Ich ging zurück ins Wohnzimmer und blätterte durch die Zeitungen auf dem Tisch. Die Rennprogramme von der Pferderennbahn. Mein Onkel hatte bei mehr als einer Gelegenheit gesagt, dass er jeden Tag auf der Rennbahn verbringen würde, wenn es mit dem Schnapsladen mal vorbei wäre. Dort war er wahrscheinlich jetzt auch.
Doch der erste Anschein trog, merkte ich. Hier ging nicht einfach ein Mann im Ruhestand fröhlich seinem Hobby nach. Es lagen stapelweise Rechnungen auf dem Tisch. Inkassoanzeigen und weitere drohende Schreiben. Außerdem standen da drei neue Fläschchen mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Die hatte er nicht genommen, als ich noch bei ihm wohnte.
Dann fiel mir noch etwas anderes ins Auge. Ich ging hinüber zum Küchentresen, wo neben einem Stapel schmutziger Teller ein Handy lag.
Das war an sich schon verwunderlich und zog die Frage nach sich, warum er es nicht bei sich hatte. Warum sich ein Handy besorgen, wenn man es dann zu Hause liegen ließ?
Ich schaltete es ein und stellte fest, dass es vollständig geladen war. Ich sah mir die Anrufliste an. Sie war leer. Kein einziger Anruf war damit gemacht oder angenommen worden.
Ich rief das Adressverzeichnis auf. Es gab nur einen einzigen Eintrag.
Banks.
Ich schaltete das Handy wieder aus und steckte es ein. Zwei Möglichkeiten, sagte ich mir. Entweder hatte Banks es meinem Onkel gegeben, damit er ihn anrief, falls ich nach Hause kam. Weil er mich zu meinem eigenen Besten in Gewahrsam nehmen wollte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie er das meinem Onkel verkaufte.
Oder er hatte es ihm gegeben, damit Onkel Lito es an mich weitergab. Damit ich Banks selbst anrief. So oder so, ich kam mir dadurch plötzlich sehr verwundbar vor. Ich ging zum Vorderfenster und sah hinaus. Banks war vielleicht jetzt gerade dort draußen, dachte ich. Beobachtete mich.
Ich ging hinaus zu meinem Motorrad und spähte in alle Richtungen. Ob jemand auf der Straße vorbeischlenderte. Oder hinter dem Steuer eines Wagens saß, vielleicht Zeitung las. So wie er es schon einmal gemacht hatte, als er den Altwarenladen beschattete.
Dann kramte ich das Bündel Scheine hervor, das Schlafzimmerblick mir erst an diesem Morgen gegeben hatte. Ich ging hinein und legte es anstelle des Handys auf den Küchentresen. Dachte an diese alte Kaffeebüchse, die all die Jahre neben der Kasse im Schnapsladen gestanden hatte. EINE SPENDE FÜR DEN
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