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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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köstlich war. Jetzt wird es wieder so, das mit dem Stickigen, meine ich, doch dann bemerke ich einen dünnen Lichtstreifen an der Seite der Tür, dort, wo die Scharniere sind, und wenn ich meine Nase daran halte, kann ich beinahe die frische Luft riechen.
    Also sitze ich dort drin mit gekreuzten Beinen und der Nase an der Türritze. Ich höre nicht viel von dem, was draußen vor sich geht, aber eines weiß ich ganz sicher. So sicher, wie ich nur je etwas gewusst habe. Ich muss ganz still sein. Und warten.
    Warten.
    Warten.
    Warten.
    Bis ich auf einmal die Schritte höre. Sie kommen ins Zimmer. Gehen wieder hinaus. Kommen wieder herein. Die Stimme meines Vaters.
    »Michael?«
    Dann weiter weg. Dann wieder näher.
    Dann direkt vor dem Safe.
    »Michael? Bist du da drin?«
    Ich muss mucksmäuschenstill sein.
    »Michael? Sag mal, bist du wirklich da reingekrochen? Du weißt doch, dass du das nicht sollst.«
    Still, still. Keinen Laut.
    Ich merke, wie der Safe leicht angehoben wird.
    »Michael! Sag was! Du bist doch nicht im Ernst da drin, oder? Du wirst ersticken! Da ist doch keine Luft!«
    Ich spüre wieder, wie sich die feuchte Wärme in meiner Hose ausbreitet.
    »Michael, mach die Tür auf, ja? Du musst sie aufdrücken.«
    Jetzt höre ich, wie an der Wählscheibe gedreht wird.
    »Ich weiß die Kombination nicht mehr! Du musst sie von innen aufmachen!«
    Weiteres Drehen und Klicken. So ein einfaches Prinzip. Wenn ihm die drei Zahlen einfallen, kann er sie einstellen, und die Tür geht auf.
    »Wie war sie bloß noch? Verdammte Scheiße! Das ist zwei Jahre her! Wie soll ich mich daran erinnern?«
    Eine Hand knallt auf die Oberseite des Safes. Ich unterdrücke einen Schrei. Kein Mucks kommt aus mir heraus.
    »Hör mir zu. Du musst dieses Ding sofort aufmachen. Lang einfach nach oben und zieh den Griff herunter. Das musst du machen, jetzt gleich!«
    Still, ganz still.
    »Komm schon, Michael. Dreh den Griff.«
    Da ist kein Griff.
    »Ich verspreche dir, dass es nicht weh tun wird. Okay, Kumpel? Ich schwöre es bei Gott. Es tut bestimmt nicht weh. Komm einfach raus, dann machen wir das zusammen, okay? Du und ich.«
    Sei ganz still.
    »Komm, Mike, bitte. Ich kann das nicht allein tun. Du musst mitkommen, okay?«
    Es gibt keinen Griff. Sei still. Es gibt keinen Griff.
    »Es wird ganz schnell gehen. Du wirst gar nichts spüren. Das schwöre ich dir. Hand aufs Herz. Ich will nur, dass wir beide zusammen sind, okay?«
    Ich halte meine Nase weiter an die Türritze, aber mir wird langsam schummerig.
    Ich höre, wie mein Vater weint. Dann höre ich ihn weggehen. Endlich. Endlich ist er fort.
    Erleichterung und Panik, beides zugleich. Er ist weg, aber jetzt werde ich für immer hier drinstecken.
    Auf einmal wieder die Schritte. Ein Rascheln rings um mich herum. Der Lichtstreif verschwindet fast.
    »Wir gehen zusammen fort«, sagt er. »Ich bin bei dir. Ich wünschte, ich könnte dich noch einmal sehen. Aber es ist okay. Hab keine Angst. Wir gehen zusammen.«
    Die Luft wird immer dünner. Mein Bewusstsein verabschiedet sich. Ein kleines Lichtpünktchen ganz unten am Safe. Was er auch darum herumgewickelt hat, es bedeckt nicht den ganzen Kasten. Er will mir die Luft wegnehmen, aber …
    Für eine Weile wird alles schwarz. Ich verliere die Besinnung, dann kehrt sie zurück. Ich höre ihn atmen.
    »Bist du noch da, Michael? Bist du bei mir?«
    Da merke ich, wie der Safe gekippt wird, und höre Räder unter mir quietschen. Das Rumpeln über den Holzfußboden. Die Treppe hinunter. Dong, dong, dong. Ein frischer Luftzug durch die Türritze weckt mich auf. Wir sind jetzt im Freien. Auf dem Gehweg. Holpern über jeden Spalt. Bong, bong, bong. Auf die glatte Straße. Ein Auto fährt vorbei und hupt. Dann kommen die Räder fast zum Stillstand. Ich höre, wie mein Vater draußen keucht und um jeden Zentimeter kämpft. Wir müssen auf unebenem Boden sein. Der Sand und Kies und das Unkraut neben der Straße. Wo will er hin? Doch nicht runter zum Fluss. Das kann nicht sein.
    Noch ein paar Meter. Dann halten wir an.
    »Du und ich, Michael. Hörst du mich da drin? Du und ich. Für immer vereint.«
    Dann der Sturz. Der Aufprall, bei dem ich gegen die Safewand knalle. Die plötzliche Dunkelheit.
    Dann das Wasser, das durch die Ritze hereindringt. Es ist kalt. Es füllt den Safe, es steigt und steigt. Es verdrängt mein letztes bisschen Luft.
    Die Sekunden ticken dahin. Das Wasser bedeckt schon mein Gesicht.
    Ich kriege keine Luft. Mir ist kalt, und ich

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