Der Mann aus dem Safe
1990 . Vatertag. Das ist der Tag, der nie vergeht. Das ist der Tag, der außerhalb der Zeit existiert.
Ich sitze auf dem Wohnzimmerboden und lese einen Comic. Meine Mutter sitzt rauchend auf dem Sofa. Der Mann, den ich Mr. X nenne, neben ihr. Er ist nicht mein Vater, und doch, obwohl Vatertag ist, sitzt er dort neben ihr auf dem Sofa.
Sein Nachname fängt tatsächlich mit X an, aber ich kann ihn mir einfach nicht merken. Xeno? Xenus? So ähnlich. Jedenfalls heißt er deshalb Mr. X.
Er ist in letzter Zeit oft bei uns. Es macht mir nicht viel aus, weil er meistens ganz nett zu mir ist. Vor allem bringt er mir die Comics mit. Auch der, den ich an dem Tag lese, ist von ihm. Aus dem kleinen Koffer, den er hin und wieder mitbringt. Er kauft die Hefte und gibt sie mir, und dann geht er manchmal mit meiner Mutter ins Schlafzimmer, während ich lese.
Ich bin erst acht Jahre alt, aber ich bin nicht blöd. Ich weiß, dass die Comics dazu da sind, mich zu beschäftigen, aber ich spiele mit, denn ich kann die beiden ja doch nicht davon abhalten, oder? So bekomme ich wenigstens die Hefte!
Ich erinnere mich, dass ich meinen Vater, als ich fünf oder sechs war, manchmal an den Wochenenden sah. Wir gingen dann zu Spielen der Tigers oder ins Kino, und einmal, glaube ich, machten wir eine Fahrt mit einem großen Dampfer auf dem Detroit River, obwohl es den ganzen Tag regnete. Irgendwann verschwand er dann, für mich war er praktisch fort. Trotzdem bekam meine Mutter immer noch Anrufe von ihm. Sie schickte mich aus dem Zimmer, wenn sie mit ihm redete. Hinterher ging sie nach draußen, setzte sich auf die Treppe und rauchte eine Zigarette.
Sie arbeitet in einer der Fabriken flussabwärts. Mr. X ist sogar ihr Chef, glaube ich. Als er das erste Mal zu uns kam, gingen sie aus, und ich musste die ganze Nacht bei einem Babysitter bleiben, aber danach besuchte er uns regelmäßig und blieb immer länger. Da fing er auch an, mir die Comics mitzubringen.
Vatertag also. Hier sitzen wir alle zusammen im Wohnzimmer, als wir auf einmal ein Geräusch an der Haustür hören. Meine Mutter steht auf und guckt aus dem kleinen Fenster in der Tür, sieht aber niemanden. Ehe sie zum Sofa zurückkehrt, legt sie noch die Kette vor. Diese kurze Kette mit dem Stöpsel daran, der in dieses schienenartige Ding mit dem Loch passt. Auch wenn ich noch sehr jung bin, weiß ich doch, dass so eine schmale Kette niemanden davon abhalten wird, ins Haus einzudringen, der es unbedingt will. Nicht, dass es jemand wollte, aber falls.
Die Küche hat eine Hintertür, die in den winzigen Garten mit dem Holzzaun darum führt. Es gibt also zwei Türen und sieben Fenster, was ich weiß, weil ich sie gezählt habe, plus eine kleine Klappe an der Hausseite, von früher, als noch der Milchmann kam. Das war vor meiner Geburt, aber einmal haben wir diese Klappe benutzt, als wir uns ausgesperrt hatten. Ich war damals gerade noch klein genug, um hindurchzupassen.
Aber diese Hintertür. Durch die kam mein Vater herein. Den ich seit zwei Jahren nicht gesehen hatte. Plötzlich sind da nicht nur meine Mutter und Mr. X, die auf dem Sofa fernsehen, während ich auf dem Fußboden mein Comic-Heft lese. Da sind meine Mutter und Mr. X, die auf dem Sofa fernsehen, während ich auf dem Fußboden mein Comic-Heft lese und mein Vater dort an der Tür steht, als wäre es das Natürlichste von der Welt. Er lehnt lässig mit gekreuzten Füßen an der Wand und sagt: »Na, was gucken wir uns denn Schönes an?«
Mr. X steht als Erster auf, und mein Vater schlägt ihm irgendwas über den Schädel. Es ist ein Nudelholz, das er sich aus der Küche genommen hat. Mr. X hält sich gebeugt den Kopf mit beiden Händen, worauf mein Vater ihn mit dem Stiefel voll ins Gesicht tritt. Meine Mutter schreit wie am Spieß und will vom Sofa aufspringen, verheddert sich aber in den Beinen des Couchtischs, während ich die ganze Zeit dort sitze und alles mit ansehe. Mein Vater schlägt Mr. X noch einmal auf den Kopf und geht dann auf meine Mutter los, die zur Haustür flüchtet, sie jedoch wegen der blöden Kette nicht aufbekommt.
Er wirbelt sie ein paarmal herum, als würden sie tanzen, und fragt sie, ob sie ihn vermisst hat. Sie schlägt um sich und schreit und zerkratzt ihm das Gesicht. Er stößt sie neben mich auf den Boden. Mr. X versucht gerade, sich aufzurappeln, also nimmt mein Vater das Nudelholz und haut es ihm wieder über den Schädel. Und noch mal und noch mal und noch mal. Das Geräusch
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