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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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beiden Stufen zur Haustür hinauf. Ich probierte den Türknauf, der sich nicht drehte, also holte ich mein Werkzeug heraus und knackte das Schloss.
    »Was machst du da?«
    Es dauerte nicht lange, in null Komma nichts hatte ich die Tür auf. Ich nahm wieder ihre Hand und führte sie hinein.
    Als Erstes fiel mir auf, wie kalt es dort drin war. Sogar nach diesem warmen Septembertag … die unnatürliche Kühle in diesem Haus. Die Lichter von der Fabrik schienen durch alle Fenster herein, so dass es eigentlich nicht dunkel war, aber ich hatte trotzdem das Bedürfnis, nach einem Schalter zu greifen. Wenigstens um für ein wärmeres Licht anstelle dieses bleichen Scheins zu sorgen, in dem alles wie unter Wasser aussah.
    Amelia sagte kein Wort. Sie folgte mir durchs Wohnzimmer, wo unsere Schritte auf dem Holzfußboden knarrten. Teppiche gab es keine. Daran erinnerte ich mich noch. Auch andere Dinge fielen mir wieder ein, zum Beispiel, wo der Fernseher stand. Wo das Sofa stand, auf dem meine Mutter immer gesessen hatte, während ich bäuchlings auf dem Boden lag und Zeichentrickfilme schaute.
    Wir gingen in die Küche. Die Kacheln waren an manchen Stellen abgeplatzt, aber es gab dieselben alten Geräte.
    »Warum steht dieses Haus eigentlich noch?«, fragte Amelia. »Warum haben sie es nicht abgerissen?«
    Ja, dachte ich, reißt es ab. Verbrennt alles Brennbare und vergrabt die Asche in der Erde.
    Ich führte sie wieder hinaus, zurück durch das Wohnzimmer und in den Flur, wo es viel dunkler war. Sie griff meine Hand fester, und wir gingen am Badezimmer vorbei, am Elternschlafzimmer, an meinem alten Zimmer von damals. Ganz nach hinten zu dem Extrazimmer.
    Diese Tür war zu, ich stieß sie auf.
    Es war leer. Nur ein Springrollo hing noch vorm Fenster. Ich wollte es aufziehen, worauf es krachend herunterfiel.
    »Okay, ich werde langsam ein bisschen nervös hier drin.« Amelias Stimme klang schwach in all der Leere.
    Ich suchte den Fußboden nach den Einkerbungen im Holz ab. Vier an der Zahl. Sie waren auf die hintere Wand ausgerichtet.
    Ich holte Block und Stift heraus und begann zu schreiben, hielt den Block in das bisschen Licht, das zum Fenster hereinfiel. Gleich darauf steckte ich ihn wieder in die Hosentasche. Unmöglich. So konnte ich ihr nicht erklären, wie es für mich gewesen war. Dieser ganze Ausflug war ein schrecklicher Fehler.
    »Also zeig es mir«, sagte sie. »Ich will sehen, was passiert ist.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Aus dem Grund sind wir doch hier. Zeig es mir.«
    Ich zog den Block wieder heraus und versuchte, ein Bild zu zeichnen, doch es war nicht genug Platz. Wie sollte ich so etwas auf einem blöden kleinen Notizblock darstellen? Frustriert warf ich ihn gegen die Wand.
    Da kam mir eine Idee.
    Auf den Wandputz war nur ein einfacher grauweißer Anstrich aufgetragen worden. So war es schon immer gewesen. Keine fröhlichen Farben für dieses Haus. Keine Tapete.
    Ich knipste die Taschenlampe an, ging zur Wand und begann mit dem Kuli zu zeichnen. Amelia kam herbei und sah mir über die Schulter zu. Ich zeichnete einen kleinen Jungen, der ein Comicheft las. Dazu eine Frau, die eine Zigarette rauchte und fernsah. Meine Mutter. Auf dem Sofa neben ihr … jetzt wurde es kompliziert. Ein Mann mit einem Glas in der Hand. Aber nicht der Vater. Wie soll man das klarmachen? Dieser Mann ist nicht der Vater.
    »Michael, hast du dein Zeug draußen am Motorrad? Stifte? Kohle?«
    Ich nickte.
    »Ich bin gleich wieder da.«
    Was? Du willst mich hier allein lassen?
    »Es dauert nur eine Minute. Mach einfach weiter.«
    Sie ging hinaus. Ich hörte ihre Schritte und spürte den Luftzug, als sie die Haustür öffnete. Jetzt war ich mit den Geistern allein. Ich kämpfte gegen das Gefühl an, dass ich hier für immer in der Falle saß. Dass die Tür verschlossen war und sie nie zurückkommen würde.
    Dann ging die Tür auf, und sie stand wieder im Zimmer, samt meinem Künstlerbedarfskasten aus Holz. Alles, was ich brauchte, um das hier richtig hinzukriegen.
    Erst recht, wenn sie mir half.
    Als ich mit dem ersten Panel fast fertig war, trat sie hinter mich und begann ein paar Einzelheiten hinzuzufügen. Das zweite Panel ging viel schneller. Ich skizzierte nur die Szene, und Amelia zeichnete sie fertig, während ich schon mit der dritten anfing.
    So machten wir es. So erzählte ich ihr endlich die Geschichte. In dieser Septembernacht, in diesem halbdunklen, leeren Zimmer, indem wir zusammen die Wände bemalten.
     
    17 . Juni

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