Der Mann aus dem Safe
Geldschrank. Auf einmal hockte sich Lucy, die kein Wort mehr gesagt hatte, seit wir in diesem Haus waren, direkt neben mich. Als ich die Hand nach dem Tresorschloss ausstreckte, machte sie Miene, mich zurückzuhalten.
»Ist schon gut, Lucy.« Julian trat hinter sie und massierte ihre Schultern. »Es ist okay. Sieh einfach zu.«
Gunnar stieß Julian von ihr weg. Ich merkte, dass es starke Spannungen in der Dynamik zwischen diesen vier gab, die ich wahrscheinlich nie richtig durchschauen würde.
»Hast du wirklich mit dem Ghost gearbeitet?«, fragte mich Lucy.
Ich nickte.
»An diesem Ort in Detroit? Mit den acht Safes?«
Ja.
»Ich war auch dort, weißt du. Er hat versucht, es mir beizubringen. Ich habe mich unheimlich angestrengt, es war total schwer …«
Ja. Ich weiß, wie schwer es ist.
»Das ist der Tresor, den wir ausnehmen wollen«, sagte sie und berührte den Griff. »Genau das gleiche Modell. Wir überlassen nichts dem Zufall.«
Das gefiel mir. Es war das erste Anzeichen dafür, dass diese scheinbar durchgeknallten Leute etwas von ihrem Geschäft verstanden.
»Also, kriegst du das hin? Kannst du die Lady wirklich öffnen, ohne sie zu zerstören?«
Die Lady. Lucy hatte wirklich beim Ghost gelernt. Oder es zumindest versucht.
»Zeig’s mir.«
Ich atmete tief durch und fing an. Drehte die Nummernscheibe, setzte die Räder zurück, damit ich sie zählen konnte. Sie sah genau zu. Ich wusste, dass sie jeden Handgriff verstand. Das war ein merkwürdiges und doch irgendwie tröstliches Gefühl. Sie kannte sich aus.
Vier Scheiben. Auf Null stellen, zum Kontaktbereich drehen. Ein für mich inzwischen vertrauter Rhythmus. Sie beobachtete mich mit Argusaugen, doch als ich mich abschottete und nach dem winzigen, feinen Unterschied tastete, ließ ich sie außen vor. Diesen Teil konnte sie weder sehen noch nachvollziehen.
Ich arbeitete mich auf der Nummernscheibe hinauf, fand die kurzen Kontakte. Bis hinauf zur 100 , dann wieder von vorn, um sie zu überprüfen und die genauen Zahlen zu ermitteln.
Ich machte eine Schreibbewegung, und sie gab mir Stift und Papier.
In ihren Augen standen Tränen, als ich die Zahlen aufschrieb. Sie kannte die Kombination natürlich, hatte sie wahrscheinlich selbst eingestellt. Außerdem wusste sie, dass ich es geschafft hatte – die Zahlen herauszufinden war das, worauf es ankam. Die richtige Reihenfolge durchzuprobieren war der leichte Teil.
Sie riss mir den Zettel aus der Hand und knüllte ihn zusammen.
»Hat er’s?«, fragte Gunnar.
»Ja.«
Er nickte und sagte nichts weiter.
»Du kannst mir nicht zeigen, wie du das gemacht hast«, sagte sie zu mir. »Entweder hat man’s drauf oder nicht.«
Ich sah sie an. In diesem Moment wünschte ich ganz ehrlich, es ihr zeigen zu können.
»Okay«, sagte Julian und klang jetzt ganz ruhig. »Deshalb ist Michael hier. Lucy, du wirst genauso gebraucht, das weißt du doch, oder?«
Sie antwortete nicht. Stand nur auf und ging aus dem Zimmer.
Er schüttelte den Kopf. Dann sah er auf seine Uhr.
»Wenn wir es noch in dieser Woche tun wollen, wird es jetzt Zeit«, sagte er. »Zeit, uns mit unseren Rollen vertraut zu machen.«
Er gab mir die Hand und zog mich hoch.
»Ich bin froh, dass wir dich angerufen haben«, sagte er und führte mich zu einer der Karten an der Wand. Ganz Los Angeles war dort vor uns ausgebreitet.
»Willkommen in der Stadt der Engel. Jetzt will ich dir zeigen, welches Stück davon wir heute Nacht in unseren Besitz bringen werden.«
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Kapitel elf
Michigan
Juni, Juli 1999
D a saß ich also. Hinten in einem Streifenwagen, die Hände in glänzenden Handschellen. Zum ersten Mal in meinem Leben. Sie hatten die Fesseln nicht auf dem Rücken angebracht, so dass ich sie genau betrachten und überlegen konnte, wie schwer es wohl wäre, sie zu knacken.
Nachdem die beiden Bullen es aufgegeben hatten, etwas aus mir herauszubringen, hatten sie mich ins Auto gesetzt und angefangen, mir meine Rechte vorzulesen. Sie haben das Recht zu schweigen et cetera. Als sie zu der Stelle kamen, wo ich bestätigen sollte, dass ich alles verstanden hatte, wurde es interessant. Ich nickte mehrfach, aber einer der Cops meinte, das würde nicht genügen. Ich müsse mich verbal dazu äußern. Stattdessen überhäufte ich sie mit einer langen Reihe von Gebärden, obwohl ich schon gefesselt war, in der Hoffnung, dass sie kapierten, was mit mir los war.
»Er ist taub«, sagte der eine Cop zum anderen. »Was machen wir jetzt?«
»Er
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