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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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wahrscheinlich für irgendeinen Provinzlümmel halten, der es nie aus seinem Kaff herausschaffen würde. Er würde nichts über meine Geschichte wissen, über den Tag im Juni oder dass ich seit neun Jahren stumm war. Oder dass ich gar nicht woanders hingehen
konnte,
jetzt, da ich amtlich ein Straffälliger auf Bewährung war.
    Eine weitere Stunde verging, die Nacht dachte nicht daran, sich abzukühlen. Nicht um ein einziges Grad. Das ließ nichts Gutes für den nächsten Tag ahnen. Irgendwann kam wieder ein Auto, doch statt dass seine Scheinwerfer über mich hinwegglitten, richteten sie sich direkt auf mein Gesicht und blendeten mich. Der Wagen bog auf den Parkplatz ein und hielt. Nachdem der Motor ausgeschaltet war, tickte er in der Hitze weiter. Der Fahrer stieg nicht aus. Saß einfach nur da.
    Ich kannte das Auto. Ein roter Chevy Nova mit karierten Sitzen. Ich blieb ebenfalls, wo ich war, und dachte mir, dass er ja irgendwann mal die Tür aufmachen musste. Eine volle Minute verging. Dann noch eine. Dann rutschte ich von Onkel Litos Wagen und ging zu ihm.
    Es fiel genug Licht auf Griffins Gesicht, dass ich erkennen konnte, dass er weinte. Ich ging zur Beifahrerseite und stieg ein.
    »Ist es okay, dass ich hier bin?«, sagte er.
    Ich hob die Hände. Wieso nicht?
    »Ich meine, ist es sicher?«
    Ich kreuzte die Hände vor der Brust und ballte sie dann zu Fäusten. Mit einem Gesichtsausdruck, der besagte, natürlich ist es sicher.
    »Ich wollte mich stellen«, sagte er. »Ehrlich.«
    Ich nahm die Hände herunter.
    »Ich mein’s ernst. Ich hatte es echt vor.«
    Ich machte ein W mit meiner rechten Hand und bewegte es vor meiner Stirn hin und her. Warum, ist doch albern.
    »Ich kann es immer noch tun, Mike. Soll ich? Würde dir das helfen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Bist du sicher? Ich kann der Polizei alles sagen.«
    Ich haute ihn auf die Schulter, ein bisschen fester als beabsichtigt.
    »Diese anderen Typen«, sagte er, »ich wette, die fühlen sich kein bisschen schlecht. Ich wette, die quälen sich nicht damit rum so wie ich die ganze Zeit.«
    Ich nickte und dachte, ja, vielen Dank auch. Ich sah aus dem Fenster.
    »Ich habe trotzdem ein schlechtes Gewissen. Ich fahre nach Wisconsin, du weißt schon, zu diesem Sommerkurs, bevor im Herbst die Akademie losgeht. Und ich hab das Gefühl, als würde ich dich einfach hier im Stich lassen.«
    Er dachte einen Moment darüber nach.
    »Andererseits«, sagte er, »ich meine, du hast nur noch ein Jahr bis zum Abschluss, dann kannst du auch Kunst studieren, stimmt’s? Vielleicht sogar zusammen mit mir in Wisconsin? Das wär doch cool, oder?«
    Ich zuckte die Achseln. Er sagte wieder eine Weile nichts.
    »Ich schulde dir was«, meinte er schließlich. »Okay? Das ist mein voller Ernst. Wann immer du was brauchst, egal was. Ich schulde dir einen Riesengefallen.«
    Ich nickte wieder, bevor ich ausstieg und ihm nachsah, wie er wegfuhr. Die Frage schoss mir durch den Kopf, ob er sich jetzt besser fühlte nach seinem Besuch.
    Nein, er wird sich noch genauso schuldig fühlen, dachte ich. Vielleicht mehr denn je. Er wird nie wieder richtig unbefangen sein können in meiner Gegenwart. Der einzige echte Freund, den ich je hatte. Bald wird er die Stadt verlassen, und ich werde ihn nie wiedersehen.
    Ich sollte recht behalten.
     
    Am nächsten Tag fuhr ich zum Haus der Marshs. Zu spät zu kommen wäre ein böser Fehler, wusste ich, also war ich um elf Uhr siebenundfünfzig zur Stelle. Es war ein seltsames Gefühl, wieder vor diesem Haus zu stehen. Bei Tageslicht sah es noch größer aus, und sein weißer Putz strahlte so sauber, dass man es nur mit Sonnenbrille angucken konnte. Ich parkte das Auto am Straßenrand, nur ein paar Meter von dort, wo es in jener Nacht gestanden hatte. Dann ging ich zur Haustür, die Sonne brannte mir auf den Kopf. Ich klopfte und wartete.
    Mr. Marsh öffnete mir. Statt tadellosem Anzug und Krawatte trug er heute ein weißes, ärmelloses Sportshirt und eine knallenge blaue Radlerhose. Ein Stirnband vervollständigte das Outfit.
    »Du bist es«, sagte er. »Du bist gekommen.«
    Als hätte ich eine andere Wahl.
    »Komm mit.« Er ließ die Tür offen und ging voraus. Ich machte sie zu und folgte ihm.
    »Wir unterhalten uns erst mal ein bisschen in meinem Arbeitszimmer«, sagte er. »Nachdem du das hier gesehen hast.« Er führte mich durchs Wohnzimmer, wo das Aquarium inzwischen ersetzt worden war und dieselben Fische darin herumschwammen, als wäre nichts

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