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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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Haut zum Strahlen brachte.
    »Warum eigentlich nicht? Was soll das? Weil dir was Schlimmes zugestoßen ist, als du noch klein warst?«
    Ich konnte mich nicht rühren.
    »Ich durchschaue dich. Dich und deine stumme Pose. Denn glaub mir … wenn du über schlimme Sachen in der Kindheit reden willst, da könnten wir ein paar Geschichten austauschen.«
    Ein Geräusch von irgendwoher, eine Glastür, die scheppernd aufgeschoben wurde.
    »Nein, wohl eher nicht. Denn dann müsstest du ja deine Pose aufgeben.«
    Ihr Vater kam über den Rasen herbei, rutschte auf dem losen Stroh aus und fiel fast aufs Gesicht.
    »Guter Job auch, das mit dem Einbruch«, sagte sie. »Echt gelungen.«
    »Amelia!« Ihr Vater packte sie am Arm. »Geh weg von ihm!«
    »Ich will ihn mir nur ansehen«, sagte sie. »Den großen bösen Buben.«
    »Geh ins Haus. Sofort.«
    »Schon gut, schon gut. Reg dich ab!« Sie befreite ihren Arm und ging. Einmal drehte sie sich noch kurz zu mir um. Ich wusste nicht, was sie dachte, aber eines wusste ich. Was Mr. Marsh über sie gesagt hatte, dass allein der Gedanke an meinen Einbruch sie traumatisiert hätte? Dass sie total verängstigt wäre?
    Davon spürte ich so gar nichts.
    »Ich habe dich gewarnt«, fuhr er mich an. »Habe ich dich nicht gewarnt?«
    Ja doch. Sie haben mich gewarnt.
    »Wenn ich dich je wieder erwische …«
    Dann wusste er nicht weiter. Was sollte er sagen? Wenn ich dich je wieder erwische, wie du mit ihr redest? Wie du einfach dastehst, als wärst du aus Stein, während sie dich beleidigt?
    »Hör mal, so funktioniert das nicht«, meinte er. »Können wir den ganzen Quatsch jetzt beiseitelassen? Du willst doch nicht jeden Tag hierherkommen und graben, oder?«
    Ich blickte an ihm vorbei. Amelia stand neben der Glasschiebetür und beobachtete mich. Ich hob den Spaten auf und stach ihn in die Erde.
    »Okay, verstehe. Wenn du es so haben willst. Sieht aus, als hättest du hier am flachen Ende kleine Fortschritte gemacht, was? Warte nur, bis du zum tiefen Ende kommst.«
    Er drehte sich um und ging. Blieb stehen.
    »Du hast noch eine Stunde abzuleisten hier draußen«, sagte er. »Ich erwarte sechzig Minuten. Keine neunundfünfzig. Mehr sage ich nicht.«
    Ich trug die Schaufelvoll zur Schubkarre und warf sie hinein.
    »Letzte Chance«, sagte er. »Ich meine es ernst, ich weiß, dass ich das dauernd sage, aber das ist jetzt ernsthaft deine letzte Chance. Du kommst rein, du schreibst mir die Namen auf, dann sind wir quitt. Hast du gehört? Mehr ist nicht nötig.«
    Was ich dann tat … ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Normalerweise würde ich so etwas nicht machen, nicht in hundert Jahren. Oder nur, nachdem ich drei Stunden lang an einem heißen Sommertag ein Loch gebuddelt habe und ein alter reicher Sack in engen Shorts mir zum siebten Mal eine letzte Chance gibt. Ich formte ein F mit der linken Hand, ein K mit der rechten, hielt beides nebeneinander und schleuderte es ihm ins Gesicht. Klar, man kann das auch einfacher sagen, sogar mit nur einem Finger. Doch wenn fünf Jahre Gebärdenspracheunterricht mich eines gelehrt hatten, dann wie man so etwas mit ein wenig mehr Stil rüberbringt.
    Danach kehrte ich ihm den Rücken zu und schob die Schubkarre zum Wald.
    »Was war das eben?«, schrie er mir nach. »Verdammt, was sollte das heißen, du blöde kleine Missgeburt?«
    Er war weg, als ich zurückkam. Amelia sah ich auch nirgends mehr. Ich blickte immer wieder zum Haus hinüber in der nächsten Stunde, aber sie tauchte nicht mehr auf.
    Um vier Uhr machte ich Feierabend und fuhr nach Hause. Dabei versuchte ich, mir ihr Gesicht möglichst genau in Erinnerung zu rufen. Ich setzte mich sofort an meinen Zeichenblock, um es festzuhalten, schließlich hatte ich doch so ein Talent für das Zeichnen aus dem Gedächtnis. Mr. Martie hatte es meine »Mutantengabe« genannt, die Fähigkeit, jedes Detail zu erfassen, indem ich einfach mit der Grundform begann und dann nach und nach alles aus der Erinnerung ergänzte.
    Doch an dem Tag konnte ich es nicht. Zum ersten Mal überhaupt konnte ich ein Gesicht nicht zeichnen. Ich versuchte es immer wieder und scheiterte immer wieder und zerknüllte das Papier und fing von vorn an. Du bist zu müde, sagte ich mir. Du kannst kaum noch die Augen offen halten. Also gab ich es auf und ging ins Bett.
    Am nächsten Morgen aufzuwachen … der größte Fehler meines Lebens. Mein Rücken war so steif, dass ich mich buchstäblich aus dem Bett rollen musste. Ich hatte

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