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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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Ich erinnere mich an zwei Vögel hoch oben über mir. Ich hörte den einen schreien und sah, dass er den viel größeren Vogel verfolgte, wobei er gezackte Linien an den blauen Himmel zeichnete. Der größere Vogel hätte wegfliegen können, oder er hätte den kleineren attackieren und dem Spiel ein Ende machen können. Er schien jedoch nichts von beidem tun zu wollen, vielleicht aus so einer Art Stolz heraus. Der kleinere Vogel ließ ihn nicht in Ruhe und kreischte immer wieder dieselben Laute.
    Nicht mal das kannst du, sagte eine Stimme in meinem überhitzten Kopf. Vom Fliegen wollen wir gar nicht reden. Du kannst nicht mal so einen Laut hervorbringen. Das Einfachste von allem, was jeder Vogel, jedes kleine Tier kann … übersteigt deine Fähigkeiten.
    Ich traf auf Wurzeln so dick wie mein Arm. Stieß mit der scharfen Spatenkante in sie hinein, schaffte es aber nicht, sie zu zerteilen. Ich machte eine Pause und ging den Wasserkrug nachfüllen, steckte den Kopf unter den Hahn und versetzte mir einen Kälteschock mit dem vergleichsweise eisigen Wasser. Einen Moment lang stand ich nicht wieder auf. Ich saß da, bis ich den Kopf hob und Mr. Marsh sah, der mich durch das Fenster zum Garten anstarrte. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und sein Gesichtsausdruck war unmissverständlich. Ich stand auf und machte mich wieder an die Arbeit.
    Eine weitere Stunde verging. Ich wurde nicht langsamer, aber alles in meinem Gesichtsfeld bekam so eine seltsame gelbliche Färbung, und die Vögel über mir schienen sich in Geier zu verwandeln. Die mich beobachteten. Warteten. Ich grub weiter in dieser einen Ecke des Rechtecks, grub, so tief ich konnte an dieser Stelle, damit ich einen Fortschritt sah. Mein Gefühl sagte mir, dass ich nur die oberste Schicht ankratzen würde, wenn ich meine Anstrengungen zu stark in die Breite ausdehnte. Und darüber würde ich den Verstand verlieren.
    Als Nächstes kam der Schwindel. Jedes Mal, wenn ich den Kopf beugte, hatte ich das Gefühl, gleich umzukippen. Die Sonne brannte durch mein T-Shirt hindurch. Ich trank ständig, arbeitete weiter, trank, arbeitete weiter. Ich hörte sie nicht, als sie sich von hinten näherte. Ich bemerkte sie überhaupt nicht, bis ich mich nach der Wasserkanne umdrehte und ihre schwarzen Turnschuhe sah. Da blickte ich auf, zu ausgewaschenen Jeans mit Löchern an den Knien und einer weißen Bluse mit gerafften Ärmeln, so dass sie geradewegs von einem Piratenschiff zu stammen schien. Zu ihrem Gesicht. Amelias Gesicht, zum ersten Mal in Wirklichkeit. Keine Zeichnung, kein Foto.
    Ihre Augen waren dunkelbraun, ihre Haare hellbraun. Ziemlich wirr und wild wie meine, aber nicht so stark gelockt. Mehr so eine widerspenstige Mähne, die sie sich aus den Augen streichen musste, damit sie einen richtig ansehen konnte. Ein überlegener Zug um den Mund, als hätte sie gerade eine Auseinandersetzung für sich entschieden.
    Das klingt so durchschnittlich, wie ich sie hier beschreibe. Eine typische Siebzehnjährige, vielleicht noch ein bisschen unfertig, gerade in einer muffeligen Phase, lächelt nie, bürstet sich nie die Haare. Wenn Sie glauben, dass Sie jetzt einen Eindruck von ihr haben, dann bin ich ihr wohl nicht gerecht geworden. Denn da war etwas an ihr, das weit über das Übliche hinausging, etwas, das ich sofort erkannte, schon als sie dort am Rand des Lochs stand und ihre Augen mit der Hand beschattete.
    Natürlich weiß ich, dass die Zeichnungen von ihr, die ich gesehen hatte, eine große Rolle dabei spielten. Wie könnte es anders sein? Es war nur so ein Gefühl zu diesem Zeitpunkt, eine Ahnung, dass sie anders war als die anderen. Dass sie möglicherweise ähnliche Dinge erlebt hatte wie ich.
    Verrückt, ich weiß. Unmöglich, nur aufgrund von ein paar Zeichnungen so viel über einen Menschen zu wissen, bevor man ihn überhaupt kennengelernt hat. Da war sie nun also und würde gleich zum ersten Mal das Wort an mich richten.
    »Du hast nur Scheiße im Kopf, weißt du das?«
    Ich stand still da und sah sie an. Ich muss einen schönen Anblick geboten haben: die Haare noch unordentlicher als ihre, das Gesicht von Schweiß und Dreck überzogen. Wie ein Gassenjunge im Mittelalter oder so.
    »Ich habe schon von dir gehört«, sagte sie. »Ich meine, bevor du bei uns eingebrochen bist. Du bist der Typ von der Milford High, der nicht redet, stimmt’s?«
    Ich antwortete nicht. Weder mit Nicken noch mit Kopfschütteln, meine ich. Ich beobachtete, wie die Sonne ihre

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