Der Mann aus dem Safe
Resozialisierungsprogramme in Strafanstalten, wo man das Gefängnis jeden Tag für ein paar Stunden verlässt, um bei irgendeinem Projekt oder so was mitzuhelfen. Den Schutt von einer Abbruchstelle wegräumen zum Beispiel oder sogar richtig auf dem Bau mitarbeiten, wenn man die nötigen Kenntnisse hat. Es ist eine Gelegenheit, mal aus dem Knast herauszukommen, mit einem Bus durch eine echte Straße zu fahren, echte Frauen auf dem Bürgersteig zu sehen und etwas echt Konstruktives zu machen. Die meisten Insassen würden einem anderen ohne Weiteres ein Messer in den Rücken rammen, um an so etwas teilnehmen zu können.
Es ist schließlich nicht mehr wie früher, als die Gefangenen ihr Sing-Sing von Grund auf mit eigenen Händen erbauen mussten und regelmäßig ausgepeitscht wurden, wenn sie nicht richtig spurten. Nein, so etwas gibt es nicht mehr. Keine brutale Knochenarbeit mehr. Keine Steinhaufen und keine Vorschlaghammer mehr. Keine Peitschen. Mit Sicherheit wird man nicht mehr allein auf ein Feld gestellt und muss einen Swimmingpool ausheben. Eine derart inhumane Bestrafung würde einem Gefängniswärter heutzutage die sofortige Kündigung eintragen.
Doch ich war nicht im Gefängnis. Ich war im Garten der Marshs und würde jeden Tag außer sonntags hier sein. Den ganzen Sommer lang. Einen Ausweg sah ich nicht. Keinesfalls wollte ich es darauf ankommen lassen, ob die Sache mit dem Jugendstraflager eine leere Drohung war. Also stach ich den Spaten mit dem Fuß in den Boden, hob das Erdreich heraus und warf es in die Schubkarre.
Und immer so weiter. Ich füllte die Schubkarre, rollte sie zum Waldrand hinüber und leerte sie aus. Rollte sie zurück und nahm wieder den Spaten zur Hand. Als ich die zweite Ladung hineinschaufelte, stieß ich schon auf Steine. Manche davon waren so groß, dass ich erst mal eine Weile um sie herumgraben musste, bis ich genug Ansatz hatte, um das verdammte Ding herauszuhebeln. Meine Hände fingen schon an, weh zu tun. Mein Rücken auch. Dabei war ich ziemlich sicher, dass ich noch nicht mal eine halbe Stunde lang gegraben hatte.
Die Sonne stach auf mich ein. Ich legte den Spaten ab, trug den Plastikkrug zur Hauswand und drehte den Wasserhahn auf. Das kalte Wasser war eine Wohltat für meine Hände. Ich kniete mich hin und spritzte mir das Gesicht nass. Dann füllte ich die Kanne und trank in tiefen Zügen. Als ich den Hahn abdrehte, hörte ich Mr. Marsh im Haus herumbrüllen. Da niemand was entgegnete, vermutete ich, dass er ins Telefon brüllte. Was er sagte, bekam ich nicht mit, nur seine Wut.
Wäre jetzt wahrscheinlich gerade nicht so gut, wenn er herauskäme und mich hier hocken sehen würde, dachte ich. Ich nahm den Wasserkrug mit und begann wieder zu graben. Es war noch kaum eine Vertiefung im Boden zu erkennen. Ich durfte nicht darüber nachdenken. Kein Stück. Schalte einfach dein Gehirn aus und grab weiter, sagte ich mir.
Noch eine halbe Stunde schlich dahin. Noch ein paar Ladungen Erde, die ich aus dem abgesteckten Viereck zu dem wachsenden Haufen am Waldrand karrte. Der Schweiß fing an, in meinen Augen zu brennen. Ich sah Mr. Marsh nicht herauskommen, doch auf einmal stand er hinter mir.
»Du machst dir den Rücken kaputt«, sagte er. »So hältst du nicht mal zwei Tage durch.«
Ich hörte auf und sah ihn an. Er hatte ein Getränk in der Hand, irgendeinen Sommercocktail mit Früchten und jeder Menge Eis.
»Setz deine Beine ein. Halt den Rücken gerade und arbeite mit deinen verdammten Beinen. Dann hältst du vielleicht
drei
Tage durch.«
Ich stach den Spaten in den Boden und beugte die Knie dabei. Wieder stieß ich auf einen Stein.
»Du schaffst das nicht allein. Das weißt du.«
Ich wischte mir das Gesicht ab und arbeitete mich um den Brocken herum. Es schien der größte bisher zu sein.
»Du benimmst dich wie ein Schwachkopf«, sagte Mr. Marsh. Er trank einen langen Schluck aus seinem Glas und blinzelte in den Himmel hinauf. »Diese Sonne wird dich umbringen. Hörst du mir eigentlich zu?«
Ich hielt inne und sah zu ihm auf.
»Du nennst mir die anderen, und ich verspreche dir – ich lass dich hier draußen unter einem Sonnenschirm sitzen.«
Ich wandte mich wieder dem Stein zu.
»Schön, grab weiter«, sagte er. »Gib mir Bescheid, wenn du es dir anders überlegst.«
Kopfschüttelnd ging er zurück ins Haus. Während der nächsten zwanzig Minuten hievte ich einen Stein so groß wie ein Basketball aus dem Boden. Danach wurde alles ein bisschen verschwommen.
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