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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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knutschten. Zeke und Amelia saßen auch nah beieinander, küssten sich zwar nicht direkt, aber er schien ihr vielsagend in die Augen zu starren und übers Haar zu streicheln.
    Wieder eine Weile Reden und Kabbeln und Lachen, dann wieder Stille. Ich hatte Angst aufzusehen. Als ich es schließlich tat, glotzten sie mich alle an. Nein, schlimmer noch, sie zeichneten mich. Die Kunstmafia der Lakeland Highschool allem Anschein nach, die Viererbande, jeder mit Zeichenblock und Stift bewaffnet. Sie taxierten mich eingehend und wollten den Anblick für die Ewigkeit festhalten. Den jungen, auf Bewährung freigelassenen Straftäter, der seine Schuld bei der Gesellschaft und bei der Familie, zu deren Haus er sich illegal Zutritt verschafft hatte, abtrug. Verachtenswert, verschwitzt, schmutzig. Kaum mehr als ein Tier. Ein Arbeitstier.
    »Nicht aufhören!«, rief Zeke mir zu. »Das soll kein Stillleben werden!«
    Weiteres Gelächter.
    Mir wurde schwindelig. Die Sonne, die so heftig auf mich herabbrannte, so lange Zeit. Ich weiß nicht, wie ich diesen Tag durchgestanden habe. Ehrlich nicht.
    Als es vorbei war, holte ich meinen Umschlag hinter dem Baum hervor, warf ihn auf den Haufen und kippte meine letzte Ladung Erde darauf. Ein angemessenes Begräbnis.
     
    Ich kann gar nicht übertreiben, was dieser Tag mit mir anstellte. Ehrlich nicht. Als ich, neu in der Schule, mich so absolut minderbemittelt gefühlt hatte – das war eine schlimme Zeit gewesen. Doch jetzt fühlte ich mich nicht nur so, ich wusste noch dazu genau, was es war, das ich nicht hatte. Was ich nie haben würde. Ich hatte es in den klarsten Farben gesehen an diesem Tag und konnte den Gedanken nicht ertragen, es noch einmal sehen zu müssen, auch nur für eine Minute.
    Irgendwie schien alles mit diesem blöden Schloss zusammenzuhängen. Als wäre alles anders gekommen, wenn ich es hätte knacken können.
    Verrückt, ich weiß, aber ich schlief mit dieser fixen Idee ein. Das Schloss mit den gezackten Stiften. Das Schloss, das mich bezwungen hatte.
    Ich wachte ruckartig auf. Saß kerzengerade in meinem Bett und sah mich im dunklen Zimmer um.
    Das ist es, dachte ich. Deshalb konnte ich es nicht öffnen.
    Ich stand auf und schnappte mir irgendwas Sauberes zum Anziehen. Es war kurz nach zwei Uhr morgens. Ich kramte auf meinem Schreibtisch herum und fand mein selbstgebasteltes Werkzeug. Die zurechtgebogenen Metallabfälle. Ich steckte sie in die Hosentasche, nahm meine Schlüssel und eine Taschenlampe und schlich mich aus dem Haus.
    Auf dunklen, verlassenen Straßen fuhr ich durch die Stadt. Ich hatte hier draußen nichts verloren, nichts bis auf eine so einfache und so wahnwitzige Idee, dass ich ihr nicht widerstehen konnte. Ich fuhr bis zum Haus der Marshs und sah es wieder in der Dunkelheit daliegen wie beim ersten Mal. Nur dass ich jetzt allein war und eine andere Mission zu erfüllen hatte.
    Ich parkte rund fünfhundert Meter entfernt, ließ das Auto am Straßenrand stehen und ging los. In gleichmäßigem, normalem Tempo. Als ich zum Haus kam, schlich ich nach hinten in den Garten und zum Waldrand, wobei ich unterwegs den Spaten aufhob. Ich fand den letzten Erdhaufen, den ich aufgetürmt hatte, und grub nach dem Umschlag.
    Vorsichtig, sagte ich mir. Du willst die Zeichnung ja nicht noch mehr beschädigen als ohnehin schon.
    Als ich auf den Umschlag stieß, zog ich ihn heraus und wischte die Erde ab. Hinter einem der größeren Bäume machte ich die Taschenlampe an. Er war natürlich ein wenig verknittert und höllisch dreckig, aber trotzdem ganz gut in Schuss. Ich holte das Bild heraus und untersuchte es gründlich im dünnen Strahl der Taschenlampe. Die Ecken waren etwas ramponiert und ein paar Linien abgerieben und verwischt. Alles in allem sah es jedoch nicht allzu übel aus. Irgendwann würde ich mal an die Firma schreiben, die diese Umschläge herstellte, und mich bedanken.
    Jetzt kam der heikle Teil. Ich knipste die Taschenlampe aus und näherte mich dem Haus. Ging zur Hintertür, lehnte meinen Kopf an das Küchenfenster und lauschte. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war Mr. Marsh, der den Kühlschrank für einen nächtlichen Snack plünderte.
    Nichts. Alles ruhig. Es konnte losgehen. Ich holte meine Picks heraus und machte mich an das Schloss. Beim Bearbeiten der Stifte wusste ich das Werkzeug des Schlossers erst richtig zu schätzen. Was hätte ich dafür gegeben, es jetzt zur Hand zu haben. Aber egal, dachte ich, das hier muss eben reichen.

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