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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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antworten.
    »Also … wie machen wir das? Ich meine, wie sollen wir miteinander kommunizieren?«
    Ich wollte gerade in die Luft schreiben, damit sie mir eventuell Papier und Stift holte, wenn sie wollte, als sie von ihrem Stuhl hochschnellte und sich auf mich stürzte. Sie küsste mich lange, lange genug, dass ich Papier und Stift und alles andere auf der Welt vergaß.
    »Du kannst doch bestimmt Gebärdensprache«, sagte sie, als sie sich wieder setzte. »Bring mir was bei. ›Hallo‹ ist …?«
    Ich hob die Hand und winkte und musste dabei an Griffin denken, der mich einmal dasselbe gefragt hatte.
    »Ja, okay, logo. Was ist mit ›Du siehst gut aus‹?«
    Ich zeigte auf sie. Du. Beschrieb dann einen Kreis um mein Gesicht. Aussehen. Dann einfach der erhobene Daumen. Gut.
    »Und wenn ich sagen will, dass du mich noch mal küssen sollst?«
    Ich legte Finger und Daumen einer Hand aneinander, wie ein Gourmet, der »Magnifique!« rufen will. Führte die Hand an meinen Mund, dann beide Hände mit den Fingerspitzen zusammen.
    »Das heißt ›küssen‹? Machst du Witze? Das ist ja wohl das Schwächste, was ich je gesehen habe.«
    Das tat ich mit einem Achselzucken ab. Ich war nicht dabei gewesen, als sie sich das ausdachten.
    »Wir brauchen unsere eigene Geheimsprache für ›Küss mich‹«, sagte sie. »Wie wär’s damit?«
    Sie schnappte mich wieder und zog mich ins Haus. Hinauf in ihr Zimmer. Unterwegs sah ich mich nach ihrem Vater um, weil ich befürchtete, das könnte ein ziemlich sicherer Weg in den Tod sein. Vielleicht nicht der allerschlimmste, aber trotzdem. Anscheinend war er aber irgendwohin gefahren, so dass wir das Haus vorläufig für uns hatten.
    Oben machten wir so einiges, für das wir eine ganz neue Kategorie von Gebärden gebraucht hätten. Als wir fertig waren, lagen wir in ihrem Bett und starrten an die Decke. Sie strich immer wieder mit ihren Fingern durch meine Haare.
    »Es ist schön, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht die ganze Zeit redet.«
    Wenn das stimmt, dachte ich, dann bist du bei mir an der richtigen Adresse.
    »Wirst du heute etwas für mich zeichnen?«
    Ehrlich gesagt war mir in dem Moment überhaupt nicht nach Zeichnen. Oder nach irgendetwas anderem als dem, was wir gerade taten. Doch irgendwann mussten wir ja mal wieder aufstehen und uns anziehen. Sie trieb zwei große Skizzenbücher und ein paar Bleistifte auf, und während der nächsten Stunde oder so saßen wir auf ihrem Bett und zeichneten. Wir zeichneten uns gegenseitig, wie wir uns gegenseitig zeichneten. Sie mit einer langen Haarsträhne überm Gesicht, ich mit einem ernsten Ausdruck, der an Traurigkeit grenzte. An Melancholie. Es überraschte mich, das in ihrem Bild von mir zu sehen. Das war mein erster richtig glücklicher Tag nach langer, langer Zeit. Wie musste ich vorher ausgesehen haben?
    Auf einmal war es vier Uhr. Erstaunlich, wie viel schneller die Zeit verging, wenn ich nicht dort draußen schuftete und die Minuten zählte, bis ich nach Hause konnte. Als wir das Auto ihres Vaters in der Einfahrt hörten, gingen wir nach unten, zurück zu den Gartenstühlen.
    Schnitt zu der Grillparty ein paar Stunden später an diesem Tag, der mir von Minute zu Minute unwirklicher vorkam. Ich saß neben Amelia auf einem Klapptisch, ein Bier in der Hand, dreieinhalb Jahre bevor ich legal eines trinken durfte, aber wen schert’s an einem warmen Sommerabend. Das Bier hatte mir Mr. Marsh persönlich gegeben, nachdem ich gut zwei Stunden mit seiner Tochter in deren Schlafzimmer verbracht hatte. Die einzige dunkle Wolke am Himmel war Amelias Bruder Adam, der für diesen Abend extra aus East Lansing gekommen war. Er trug ein geripptes Muskelshirt, und seine Arme beulten sich aus, als wären sie mit Kokosnüssen ausgestopft. Seine Haare waren an den Seiten ausrasiert, und über die Mitte zog sich ein Pseudoirokese. Sobald er mich dort in seinem Garten entdeckte, guckte er, als hätte er nicht übel Lust, mir den Garaus zu machen.
    »Du bist der kleine Scheißer, der in unser Haus eingebrochen ist?«, begrüßte er mich.
    Mr. Marsh kam mir zu Hilfe. Er sagte seinem Sohn, ich sei ein verlässlicher Kerl, und er solle mich in Ruhe lassen und mir verzeihen und mich nicht umbringen und so weiter. Doch Adam hörte nicht auf, mir von der anderen Seite des Gartens aus Mörderblicke zuzuwerfen. Fünf ehemalige Lakeland-Footballspieler standen um ihn herum, und offenbar sollten noch mehr kommen. Mr. Marsh grillte fieberhaft Hot Dogs und

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