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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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nicht wriggen: Das Boot hatte nur einen Riemen, und er kam offenbar sehr schlecht zurecht damit, schon deswegen, weil er möglichst leise sein wollte. Er benutzte den Riemen abwechselnd rechts und links, aber trotz aller Bemühungen stieß er damit jedesmal gegen den Bootsrand. Das Boot lief nicht geradeaus. Es war schon seltsam, vor sich im Nebel einen Mann mit Hut zu beobachten, der sich mit dem ungefügen Boot abmühte.
    Maloin hatte zuerst aus reiner Neugier hingeschaut, aber nach und nach wurde es zu einer richtigen Faszination. Er konnte die Augen nicht mehr abwenden; er hörte und sah nichts anderes mehr. Und gleichzeitig, während Mann und Boot bei dem dichter werdenden Nebel zeitweilig nur noch Schemen waren, hatte er beide ganz genau vor sich, vor allem das Gesicht des Engländers, das sich ihm bis ins kleinste Detail darstellte.
    Die Züge seines Schwagers, ja sogar seiner eigenen Frau hätten ihm nicht so scharf und ohne verschwommene Stellen gegenwärtig sein können.
    Das Boot kam ruckweise voran, und Maloin war sicher, daß der Mann mit der spitzen Nase und den traurigen, zugleich ängstlich und resigniert blickenden Augen sich über den Bootsrand beugte und ins Wasser spähte. Und als der Schatten sich aus seiner gebückten Haltung aufrichtete, da wußte Maloin, daß der andere prüfend zu seinem wie ein Lampion am Himmel hängenden Glaskasten hinaufschaute.
    Das Boot war an der Stelle angelangt, an der der Koffer ins Wasser gefallen war. Das Ruder wurde eingezogen und der Mann, den das Schwanken des Bootes unsicher machte, erhob sich zögernd von seinem Sitz.
    Maloin erriet jeden Handgriff: das Entwirren der Leine, das Hervorholen des Bootsankers, der natürlich am Bootsrand hängenblieb, bevor er ins Wasser glitt.
    Vom vorderen Ende der Mole kam der erste Heulton des Nebelhorns, und zehn Minuten später war der Nebel bis in den letzten Winkel gedrungen und hatte sogar die hell erleuchtete Eingangstür des Moulin-Rouge verschluckt.
    Maloin hätte dies zum Anlaß nehmen können, an etwas anderes zu denken, seine Zeitung zu lesen oder beim Ofen zu dösen. Aber er blieb am Fenster stehen und hielt den Atem an, damit ihm auch nicht das leiseste Geräusch entging. Er runzelte verärgert die Stirn, als das Quietschen des Krans die Geräusche auf dem Wasser übertönte.
    Der Mann war in der Luftlinie nur etwa fünfzehn Meter von ihm entfernt. Er wußte nicht Bescheid über den Gezeitenrhythmus und dachte nicht an die Strömung, die ihn langsam zum offenen Meer trieb. Er suchte den Grund mit dem Anker ab, den er immer wieder etwas hochzog und hinabließ. Als er sich dann aber umschaute, sah er, daß er nicht mehr an der gleichen Stelle war, und einmal stieß er sogar gegen den Schlepper der Marine. Baptiste, Maloin, jeder von ihnen hätte das Boot auf derselben Stelle gehalten, indem er mit einer Hand gewriggt, und mit der anderen den Bootsanker gehandhabt hätte.
    Der Nebel war weiß und kalt wie Eis, und man hätte glauben können, daß er von fester Konsistenz sei. Maloin mußte mehrmals gegen den Hustenreiz ankämpfen. Was wäre geschehen, wenn er gehustet hätte? Der Mann im Boot hätte glauben müssen, das Geräusch sei direkt über ihm, denn bei Nebel klingt alles näher, als es wirklich ist. Wer weiß, vielleicht hätte er die Leine losgelassen und den Anker verloren. In seiner Panik hätte er womöglich den Riemen ins Wasser fallen lassen, und er wäre unaufhaltsam zum Meer hin abgetrieben worden.
    Ob er dann wohl den Mut gehabt hätte, um Hilfe zu rufen?
    Er hatte offenbar Angst, das Gleichgewicht zu verlieren, denn er hatte sich aus seiner halbaufgerichteten Stellung wieder hingehockt. Im Sitzen hatte er jedoch weniger Bewegungsfreiheit, und man sah, daß er nach einer besseren Stellung suchte.
    Maloin gab wütend einem Güterzug die Fahrt frei und stellte sich dann wieder ans Fenster. Er dachte nicht einen Augenblick an den Toten, der ihn nicht interessierte oder vielmehr für seine Überlegungen unerheblich war. Er hatte ihn ja nicht einmal gesehen! Einen Mantel hatte er wahrgenommen, einen Hut. Eine Gestalt, die am Rand des Kais ins Taumeln geraten war.
    Im übrigen brauchte der Tote den Koffer nicht mehr, da er ja tot war.
    Der Clown hingegen, der schien ihn verdammt nötig zu haben. Unglaublich überhaupt! Schließlich hatte er in der letzten Nacht an eben dieser Stelle einen handfesten Mord begangen. Und obendrein konnte er nicht wissen, ob man die Leiche nicht etwa gefunden hatte inzwischen

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