Der Mann aus London
Weidenkörbe, das Stimmengemurmel und das helle Klatschen der nassen Fische, die flach auf dem Fliesenboden der Markthalle landeten.
Jetzt mußte er nur noch einen Zug umsetzen. Als er dann zum letzten Mal den Ofen geschürt und nachgelegt hatte, war es Tag. Zu sehen jedoch war kaum mehr als in der Nacht, so dicht war der Nebel inzwischen.
Die Autos fuhren alle mit Licht, und in den Häusern wurde ein Fenster nach dem anderen hell. Es waren immer die gleichen Fenster der gleichen Leute, die früh aufstanden.
»Alles klar?« fragte sein Kollege, der gerade zur Tür hereinkam.
»Alles klar«, antwortete Maloin, der nicht mehr daran dachte, daß sie tags zuvor verärgert auseinandergegangen waren.
Er sah zu seinem Schrank hinüber und vergewisserte sich, daß er den Schlüssel in der Tasche hatte. Dann stieg er die Treppe hinunter, deren eiserne Stäbe sich kalt und glitschig anfühlten.
Er hatte kaum den Hafenbahnhof hinter sich gelassen, als er den Mann am Rand des Trottoirs vor sich stehen sah, mit nassem Mantel, zerdrücktem Hut, die Hände in den Taschen vergraben. Der Mann aus London sah ihn an. Er wartete auf ihn. Es war abzusehen, daß er zwei Schritte auf ihn zu machen und ihn ansprechen würde.
Maloin wäre nicht weggelaufen. Er hätte nichts zu seiner Verteidigung unternommen, da er sich bereits mit allem abgefunden hatte. Er hätte sich angehört, was der andere zu sagen hatte, und getan, was von ihm verlangt wurde. Sogar den Koffer hätte er aus seinem Spind geholt. Das alles war aus seiner Haltung doch ersichtlich!
Aber nein! Der Mann kam nicht auf ihn zu, er sprach ihn nicht an.
Mit fiebrigen Augen und bitter verzogenem Mund sah er zu, wie Maloin vorbeiging.
Maloin wurde unsicher, sein Gang wurde stolpernd. Er machte sich darauf gefaßt, von hinten einen Schlag versetzt zu bekommen oder sonst etwas in der Art. Er bog automatisch nach links ein, weil das sein gewohnter Heimweg war, den er praktisch auch im Schlaf eingeschlagen hätte. Er wagte nicht, sich umzudrehen, aber als er endlich den Schritt des Mannes hinter sich hörte, fühlte er sich fast erleichtert.
An der Taxistation standen die Taxen wie gewöhnlich. Und auf dem Trottoir gegenüber kam sogar ein Polizeibeamter daher.
Er war in Sicherheit! Man konnte ihm nichts anhaben!
Als er glitschige Fischabfälle unter seinen Füßen spürte, wurde ihm bewußt, daß er über den Fischmarkt ging. Aber er nahm nichts wahr, jedenfalls keine Details. Es war nicht nur um ihn herum neblig, der Nebel steckte auch in seinem Kopf.
Der Mann war weiter hinter ihm hergelaufen, hinter ihm den Steilhang hochgestiegen … Und nach alledem fiel seiner Frau nichts Besseres ein als ihr blödes »Ich hab dir’s doch gesagt, daß du eine Grippe ausbrütest!«
Eine schöne Grippe, das wäre so recht nach ihrem Herzen gewesen; eine Gelegenheit, ihren ewigen Tee aufzubrühen, mit noch mieserer Leichenbittermiene herumzulaufen und eventuell den Jungen zu schikanieren, den sie sonst eher verwöhnte.
Er fühlte sich gerädert, ausgehöhlt und zermatscht, und doch mußte er unbedingt nachdenken. Natürlich nicht so nachdenken, wie seine Frau es tat, die drei Tage lang über den Kauf eines Kochtopfes oder über Ernests Geigenunterricht referieren konnte. Die Geige! Über die hatten sie hier und beim Schwager während eines Jahres und länger gesprochen.
Nachdenken! Vielleicht war der Mann weg, vielleicht strich er ums Haus. Vor allem: Er wußte, daß Maloin Bescheid wußte! Oder jedenfalls, daß Maloin Bescheid wissen konnte.
Den Koffer zur Polizei tragen? Dazu war es jetzt zu spät. Und auch wenn es nicht zu spät gewesen wäre, hätte Maloin sich nur widerstrebend dazu entschließen können.
Wie ging es weiter, wenn der Engländer in Dieppe blieb? Würde er weiterhin an jeder dritten Straßenecke sein Clownsgesicht zur Schau stellen?
Maloin stand auf und riß das Fenster zum zweiten Mal und ebenso abrupt auf. Aber er erblickte nur die Frau eines Fischers – es war sogar Baptistes Frau –, die ihren Fisch an der Haustür anbot. Mißmutig musterte er von oben seine eigene Frau, die nach einigem Feilschen Heringe kaufte. Schon wieder Heringe!
Er schlief ein wenig, und beim Aufstehen konnte er durch den Nebel hindurch die gelbliche Scheibe der Sonne ahnen.
Gestern um die gleiche Zeit war er entgegen seiner Gewohnheit schon draußen gewesen. Dieser Spaziergang war ihm angenehm in Erinnerung. Vielleicht, weil er so außerhalb der täglichen Routine lag. Vor
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