Der Mann aus London
aufsammelte: leere Behälter, Reste von Korkplatten, Keksdosen und Treibholz.
Es war ziemlich dunkel in der Hütte. Henriette wußte, daß die Körbe links waren und machte zwei Schritte in diese Richtung. Dann blieb sie stehen. War da nicht ein Knacken gewesen? Sie dachte zuerst an eine große Ratte, hörte dann aber ein zweites Knacken, das nie und nimmer von einer Ratte kommen konnte, und da erst gewahrte sie undeutlich den weißen Fleck eines Gesichts im Halbdunkel.
Sie hätte selbst nicht sagen können, warum sie nicht schrie. Vielleicht war ihr der Gendarm auf der Steilküste eingefallen. An den Haken und den Krabbenkorb dachte sie natürlich nicht mehr. Sie trat schleunigst den Rückzug an, schloß mechanisch die Tür ab und steckte den Schlüssel wieder in die Tasche.
Ohne zu überlegen lief sie zurück, und je näher sie dem Hause kam, desto mehr wuchs ihre Angst und damit auch die Verwunderung über die Ruhe, die sie bewahrt hatte. Sie trommelte hastig gegen die Tür.
»In der Hütte ist ein Mann!« keuchte sie, als die Mutter ihr öffnete.
»Was sagst du da?«
»Und auf der Steilküste steht ein Gendarm. Ich glaube, sie suchen jemand.«
Oben in dem kleinen Zimmer blinzelte Maloin verschlafen, als er die Stimmen der beiden Frauen hörte. Er nahm die Tapete mit den silbernen Streifen wahr, die er statt der alten geblümten angebracht hatte, weil ihm im Geschäft gesagt worden war, das sei jetzt modern. Aber er konnte sich nicht daran gewöhnen, ebensowenig wie an den rotseidenen Lampenschirm mit den vier hölzernen Eicheln als Verzierung.
Um zu hören, was unten geredet wurde, hätte er nur den Kopf heben und nach unten lauschen müssen. Neben ihm im Bett war eine Ausbuchtung. Dort hatte seine Frau gelegen, und wenn er den Kopf drehte, streifte er ein Kopfkissen, das einen anderen Geruch hatte als seines.
Er überlegte sich einen Augenblick, ob er zuhören oder lieber weiterschlafen sollte. Er entschied sich für letzteres und fiel in einen Schlaf, bei dem er sich bewußt war, daß er schlief. Und auch, daß er beim Aufwachen an unangenehme Dinge zu denken hatte.
»Wenn Sie im Speisesaal Platz nehmen wollen, Monsieur Mitchel … Germain! Das Frühstück für Monsieur Mitchel! Sie nehmen bacon and eggs, nicht wahr?«
Dieser Monsieur Mitchel war ein seltsamer alter Mann, klein und schmächtig und von unglaublicher Nervosität. Was aber am meisten auffiel, war der rosige Kinderteint und das treuherzige Gesicht unter dem weißen Haar.
»Ist er noch nicht verhaftet?« fragte er mühsam, denn er konnte sehr schlecht Französisch und sprach es noch schlechter aus.
Germain verstand nicht, was er sagte.
»Monsieur Mitchel hat gefragt«, mischte Madame Dupré sich ein, »ob man den Dieb noch nicht verhaftet hat … Ich weiß es nicht, Monsieur Mitchel. Inspektor Molisson hat sich schlafen gelegt und Anweisung gegeben, ihn nicht vor zehn zu wecken.«
Sie warf dabei einen Blick auf die Wanduhr, auf der es zehn Minuten vor zehn war.
Im selben Augenblick läutete das Telefon auf dem Schreibtisch.
»Hallo? … Ja, Hôtel de Newhaven … Nein, Monsieur, das geht nicht. Könnten Sie vielleicht in zehn Minuten zurückrufen? … Aber ich versichere Ihnen, das ist jetzt unmöglich … Wie bitte? Der Hafenmeister? Ach, entschuldigen Sie vielmals, Monsieur, aber ich habe wirklich nicht das Recht …«
In dem Fensterchen, das die Hotelhalle mit den hinteren Räumen verband, erschien der Kopf ihres Mannes mit der weißen Kochmütze.
»Der Hafenmeister«, wandte sie sich erklärend zu ihm hin, wobei sie aufgeregt mit den Händen fuchtelte. »Sie haben was aus dem Meer gefischt …«
Hinter der Glaswand des Speisesaals war Monsieur Mitchel zu sehen, der langsam sein Frühstück einnahm.
»Germain!« wandte sich Madame Dupré an den Kellner. »Drei Minuten vor zehn. Machen Sie alles fertig.«
Germain hatte verstanden, und drei Minuten später stieg er mit dem Frühstückstablett nach oben und klopfte an Zimmer Nummer sechs.
Eine Viertelstunde lang kam aus Nummer sechs das Geräusch von Schritten, der Wasserhahn wurde aufgedreht und nach einer Weile öffnete sich die Tür. Inspektor Molisson kam die Treppe herunter, frisch rasiert, in sauber ausgebürstetem Anzug und nach Haarwasser duftend.
»Der Hafenmeister hat angerufen. Wenn ich recht verstanden habe, ist eine Leiche gefunden worden …«
Der alte Mitchel hatte beim Anblick des Inspektors sein Frühstück stehenlassen und war auf den anderen
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