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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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er in den Kochtopf.
    »Schon wieder Kohl!« protestierte er empört.
    »Eigentlich hatte ich ja Krabben machen wollen«, rutschte es seiner Frau heraus.
    »Na und? Wo sind sie?«
    Dabei fiel sein Blick auf den großen dunklen Schlüssel auf der Kommodenecke und auf Henriettes Kopftuch, das sie nur umband, wenn sie zum Krabbenfangen ging.
    »Es ist doch Ebbe jetzt, oder nicht?«
    »Ja, Papa.«
    Madame Maloin bedeutete ihrer Tochter, den Vorfall zu erzählen.
    »Also es war so …« fing sie an. »Das letzte Mal mußt du vergessen haben, die Hütte abzuschließen …«
    »Was sagst du da?«
    »Aber wenn ich dir’s sage … Die Tür war nicht abgeschlossen, als ich hinkam.«
    Er hatte unheilvoll die Brauen zusammengezogen. Mit dem Rücken zum Ofen stand er da und wartete. Er begann, sich betont langsam seine Pfeife zu stopfen.
    »Schon auf dem Hinweg war mir der Gendarm aufgefallen, auf der Steilküste … Ich mußte zuerst in die Hütte, um den Korb und den Haken zu holen …«
    Frau und Tochter kamen ihm in diesem Augenblick wie Feinde vor.
    »Weiter. Hast du die Sprache verloren?«
    »Ich hab einen Mann in der Hütte gesehen! Er hatte sich hinter dem Boot versteckt!« schrie Henriette nun.
    Er machte ein paar Schritte auf sie zu, als ob er ihr eine Ohrfeige geben wolle.
    »Was hat er gesagt? Du wiederholst sofort, was er zu dir gesagt hat!«
    »Louis!« versuchte seine Frau ihn zu beschwichtigen.
    »So red schon, los!«
    »Gar nichts hat er zu mir gesagt. Und ich bin so schnell wie möglich wieder weg …«
    Maloin atmete schwer; er schaute hart und böse wie in der Kneipe, wenn eine Schlägerei in der Luft lag.
    »Hast du dem Gendarmen was gesagt?«
    »Nein …« weinte sie fast.
    Sein Blick fiel wieder auf den Schlüssel, und plötzlich explodierte er.
    »Hast du ihn etwa eingeschlossen?«
    Sie wagte nichts mehr zu sagen und nickte nur, den Arm schützend vors Gesicht gehoben, um die Schläge abzufangen.
    Maloin hätte platzen können. Er mußte etwas tun – egal was, aber die aufgestaute Aggression mußte er loswerden. Seine Pfeife war als erstes dran. Er warf sie mit aller Kraft auf den Fliesenboden, wo sie auseinanderbarst wie ein Ei.
    »Gottverdammter Mist! Du hast ihn in der Hütte eingeschlossen!«
    Die Pfeife war ihm nicht genug, und Madame Maloin, die seinem drohenden Blick gefolgt war, brachte schleunigst die Suppenschüssel in Sicherheit.
    »Gottverdammter Mist!« wiederholte er.
    Alles hätte passieren können! Aber ausgerechnet das! Der Mann aus London in seiner Hütte, eingeschlossen in seiner Hütte!
    »Was hast du jetzt vor, Louis?«
    Er hatte den Schlüssel an sich genommen und steckte ihn in die Tasche.
    »Was ich vorhabe?«
    Er hatte selbst keine Ahnung.
    »Hört mir mal gut zu«, sagte er jedoch von oben herab, um die beiden Frauen zu beeindrucken. »Als erstes haltet ihr beiden mal schön den Mund, verstanden? Ihr wißt doch, daß ich die ewige Fragerei nicht leiden kann! Und jetzt kümmert euch wieder um eure Weiberarbeit!«
    Er ging schwer den Korridor entlang, griff am Garderobenständer nach seiner Mütze und öffnete die Tür. Der Regen war feiner und dichter geworden. Schon nach wenigen Schritten lief ihm das Wasser über Gesicht und Hände. Er hatte auch nicht daran gedacht, seine alte Holzpfeife mitzunehmen, so daß er nicht rauchen konnte.
    Es waren nur etwa fünfzig Meter bis zu der Stelle, an der die Steilküste eine Biegung machte, und dort stand der Gendarm unbeweglich wie ein Wachtposten. Weiter vorn war das mit weißen Streifen durchzogene Meer. Und der dunkle Fleck am Himmel noch weiter vorn, der im Unendlichen verschwamm, das war die Rauchfahne des Schiffs aus Newhaven.

7
    »Tag!« grüßte Maloin, als er, die Hände in den Manteltaschen vergraben, neben dem Gendarmen am Rand der Steilküste stehenblieb.
    Ein Eisenbahner ist einem Gendarmen gewissermaßen ebenbürtig. Maloin brauchte deshalb nicht viel Umstände zu machen, und der andere hatte dies auch nach einem kurzen Blick auf Maloins Dienstmütze begriffen.
    »Tag«, grüßte er kollegial zurück.
    »Ist was los hier in der Gegend?«
    Maloin tat so, als betrachte er das Meer. In Wirklichkeit schielte er jedoch zu dem halb aus Wellblech, halb aus Teerpappe bestehenden Dach seiner Hütte, die direkt unter ihnen lag.
    »Es wird nach einem Engländer gefahndet«, antwortete der Gendarm mit einem Seufzen.
    Er schaute zur Stadt hinüber. Wenn man gute Augen hatte, konnte man von hier aus die Zeiger auf der Uhr des

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