Der Mann aus London
zugekommen. Der Inspektor streckte ihm die rechte Hand entgegen; mit der linken nahm er den Hörer ab.
»Hallo … Das Hafenamt, bitte.«
Noch während des Telefonats informierte er den alten Mitchel auf Englisch über den Stand der Dinge. Germain stand stocksteif an der Bar; der Kopf des Hoteliers war wieder hinter der Fensterklappe erschienen, und Madame Dupré deutete ein schwaches Lächeln an, als ob sie sich für ihre Anwesenheit entschuldigen wolle. Als das Gespräch beendet war, unterhielt sich der Inspektor nochmals auf Englisch mit dem alten Mitchel.
»Meinen Mantel bitte«, wandte er sich dann an Germain.
»Pardon, Monsieur Molisson …«, rot und verlegen wandte Madame Dupré sich an den Inspektor. »Entschuldigen Sie meine Zudringlichkeit … Aber ist es … Ist es Monsieur Brown, den man gefunden hat?«
Der Inspektor warf ihr einen erstaunten Blick zu.
»Warum denn Monsieur Brown?«
»Weil … Ich hatte gedacht … Ich weiß nicht; ich hatte den Eindruck …«
»Die Leiche haben sie gefunden! Die Leiche des Mannes, den Ihr Monsieur Brown umgebracht hat …«
Sie war noch röter geworden. »Ihr Monsieur Brown«, hatte er gesagt, und das war wie eine Anschuldigung. Sie fragte sich, ob ihr Mann diesen Unterton mitbekommen hatte, aber er hatte offenbar gar nicht darauf geachtet.
»Bringen Sie auch den Pelz von Monsieur Mitchel, Germain!«
Sie gingen alle beide weg und hinterließen eine Art Kälte in dem Hotel. Anfangs sagte keiner einen Ton.
Germain ordnete seine Gläser ein.
»Halten Sie so was für möglich, Madame Dupré?« murmelte er schließlich, wobei er starr vor sich auf den Tresen schaute.
Madame Dupré ihrerseits schaute auf den Sessel, in den Brown sich für gewöhnlich gesetzt hatte und wo er manchmal über eine Stunde mit leerem Blick sitzen geblieben war – nur wenige Meter von ihr entfernt. Von Zeit zu Zeit hatten sie das eine oder andere Wort gewechselt. Sie hatte ihn sogar gefragt, ob er verheiratet sei, und er hatte nur schweigend auf seinen Ehering gedeutet … Hatte sie zuweilen nicht sogar angenommen, daß die Ursache seiner Schwermut bei seiner Frau liege, in ihrer Untreue oder Bösartigkeit?
»Fangen Sie doch schon an, den Tisch zu decken, Germain. Wir brauchen fünf Gedecke für Monsieur Henry und zwei für die Gäste aus Paris …«
In der Küche der Maloins wurde geflüstert. Das Haus war fast neu. Die Ausstattung war gut durchdacht, und es war leicht zu pflegen. Es gab einen gefliesten Hof, eine Waschküche und einen Trockenraum. Das Parkett war versiegelt und die Wände im Treppenhaus mit Ölfarbe gestrichen. An alles hatte man gedacht, nur nicht an die dünnen Wände. Von einem Raum zum anderen verstand man jedes Wort, und wenn Maloin sich oben im Schlafzimmer anzog, dann war da eine Viertelstunde lang das reinste Donnergrollen.
»Bist du auch ganz sicher, daß du die Tür hinter dir abgeschlossen hast?«
»Aber ja«, antwortete Henriette. »Absichtlich zwar nicht. Aber ich bin raus und hab den Schlüssel umgedreht …«
»Wenn ich nur wüßte, ob wir’s Vater erzählen sollen. Ich weiß wirklich nicht, was er in den letzten Tagen hat … Hast du die Pfeife gesehen, die er sich gekauft hat, ohne uns ein Wort davon zu sagen? Und gestern und vorgestern hat er kaum geschlafen …«
Sie hätten den Gendarmen rufen und ihm den Schlüssel in die Hand drücken können.
Sie dachten alle beide daran, aber es wurde ihnen heiß bei dem Gedanken, und sie fühlten einen Kloß im Hals, vor allem Henriette, die sich inzwischen einbildete, es sei der Blick eines gehetzten Tieres gewesen, der sich im Halbdunkel auf sie gerichtet hatte.
»Wenn man bloß wüßte, was er getan hat …«
»Vielleicht steht was in der Zeitung von heute früh.«
Die Zeitung war noch im Briefkasten, denn Maloin war der einzige, der sie nach dem Aufstehen las. Henriette sah sich die Schlagzeilen an und blätterte eine Seite nach der anderen um. Sie konnte jedoch keine Meldung finden, die einen Zusammenhang ergeben hätte.
»Und wenn er nur da war, um die Sachen deines Vaters zu stehlen?«
Sie hatten alle beide Angst vor Maloins Zorn. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn seine Angelruten abhanden kamen!
Maloin schlief so schlecht, daß er das Flüstern unten in der Küche dauernd mitbekam, auch wenn er das Gesicht noch so tief ins Kopfkissen vergrub und sogar ein Schnarchen simulierte, wie um den Schlaf mit List und Tücke herbeizulocken. Als dann die Sirene heulte, wußte er,
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