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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Frankreich verbündet«, warf er ein.
    »Das genügt nicht«, sagte Churchill. »Rußland ist zum Eingreifen verpflichtet, falls Frankreich das Opfer eines Angriffs sein sollte. Es bleibt Rußland überlassen zu beurteilen, ob Frankreich in einem solchen Fall das Opfer oder der Angreifer wäre. Wenn ein Krieg ausbricht, behaupten immer beide Seiten, das Opfer zu sein. Daher verpflichtet die Allianz Rußland nur dann zum Kampf, wenn es wirklich kämpfen will. Wir müssen Rußland noch einmal ganz fest und unwiderruflich auf unsere Seite bringen.«
    »Ich kann mir schlecht vorstellen, daß ausgerechnet ihr Liberalen dem Zaren die Hand reicht.«
    »Dann beurteilen Sie uns falsch. Um England zu retten, würden wir uns auch mit dem Teufel einlassen.«
    »Euren Anhängern wird das nicht gefallen.«
    »Sie werden es gar nicht erfahren.«
    Jetzt durchschaute Waiden, wohin das alles führte, und er fand die Aussicht aufregend. »Was haben Sie im Sinn? Ein geheimes Abkommen? Oder eine stillschweigende Übereinkunft?«
    »Beides.«
    Waiden blickte Churchill aus schmalen Augen an. Dieser junge Demagoge könnte Köpfchen haben, sagte er sich, und dieses Köpfchen könnte gegen meine Interessen arbeiten. Die Liberalen wollen also eine geheime Abmachung mit dem Zaren treffen, ungeachtet des Hasses, den das englische Volk gegen das brutale Regime in Rußland empfindet – aber warum erzählt er mir das? Sie wollen mich auf irgendeine Weise einspannen, das ist mir klar. Aber zu welchem Zweck? Etwa, um später, wenn alles schiefgelaufen ist, einen Konservativen als Sündenbock zu haben? Falls man mich in eine solche Falle locken will, braucht man einen geschickteren Ränkeschmied als diesen Churchill.
    Waiden sagte: »Fahren Sie fort.«
    »Ich habe vor einiger Zeit Kooperationsgespräche mit den Russen bezüglich der Kriegsmarine in die Wege geleitet – parallel zu unseren militärischen Verhandlungen mit den Franzosen. Eine Weile haben sie sich auf ziemlich niedriger Ebene abgespielt, aber jetzt fangen sie an, ernsthaft zu werden. Ein junger russischer Admiral kommt nach London. Sein Name ist Fürst Alexeij Andreijewitsch Orlow.«
    »Alex!« rief Lydia aus.
    Churchill blickte sie an. »Ich glaube, er ist mit Ihnen verwandt, Lady Waiden.«
    »Ja«, sagte Lydia, und aus einem Waiden nicht bekannten Grund sah sie verlegen aus. »Er ist der Sohn meiner älteren Schwester, demnach wäre er wohl … mein Vetter?«
    »Neffe«, berichtigte Waiden.
    »Ich wußte gar nicht, daß er Admiral geworden ist«, fuhr Lydia fort. »Er muß kürzlich dazu ernannt worden sein.« Sie war wieder kühl und völlig beherrscht, und Waiden glaubte sich ihre momentane Verlegenheit nur eingebildet zu haben. Er freute sich, daß Alex nach London kam, denn er mochte ihn. Lydia sagte: »Er ist noch sehr jung für eine solche Verantwortung.«
    »Er ist dreißig«, bemerkte Churchill, und Waiden fiel auf, daß Churchill mit seinen vierzig Jahren ebenfalls sehr jung für den Oberbefehl über die gesamte Royal Navy war. Churchills Gesichtsausdruck schien zu sagen: Die Welt gehört begabten jungen Männern wie mir und Orlow.
    Aber er braucht mich, sinnierte Waiden.
    »Außerdem«, fuhr Churchill fort, »ist Orlow ein Neffe des Zaren, durch seinen Vater, den verstorbenen Großfürsten, und – was noch wichtiger ist – er gehört zu den wenigen Leuten neben Rasputin, die der Zar schätzt und denen er vertraut. Wenn einer in der russischen Kriegsmarine den Zaren auf unsere Seite bringen kann, dann Orlow.«
    Jetzt stellte Waiden die Frage, die ihm schon lange auf der Zunge lag. »Und was habe ich mit alledem zu tun?«
    »Ich möchte, daß Sie England in diesen Verhandlungen vertreten – und ich möchte, daß Sie mir Rußland auf einem Tablett servieren.« Dieser Kerl kann seinem Hang zur Melodramatik einfach nicht widerstehen, durchfuhr es Waiden. »Sie wollen, daß ich mit Alex über eine englischrussische Militärallianz verhandle?«
    »Ja.«
    Waiden sah sofort die Herausforderung, die Schwierigkeiten, aber auch die Chance, die in dieser Aufgabe lag. Er verbarg seine Erregung und widerstand der Versuchung, sich zu erheben und auf und ab zu gehen.
    Churchill erklärte weiter: »Sie kennen den Zaren persönlich. Sie kennen Rußland und sprechen fließend russisch. Sie sind durch ihre Ehe Orlows Onkel. Sie haben schon einmal den Zaren überredet, mit England und nicht mit Deutschland gemeinsame Sache zu machen, als Sie 1906 intervenierten, um die Ratifizierung des

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