Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
nicht aus, so wie der Kellner nicht bestimmt, wer ein Lokal betritt. Dabei interessiert es mich durchaus, warum ich jemanden liquidieren soll. Neugierde ist substanziell. Aber es geht mich nichts an. Dafür werde ich nicht bezahlt. Meine Auftraggeber sind mir gleichgültig. Die wenigsten lerne ich persönlich kennen. Aber allein die Wahl der Person, die ihnen als Vermittler dient, spricht zumeist gegen sie, gegen ihren Geschmack. Doch ihre Zufriedenheit ist nun einmal die Grundlage meines Geschäfts. Natürlich finde ich die kleine, nette, alte Dame, die Kekse anbietet und davon erzählt, wie aufregend Berlin früher war, sympathischer als den aalglatten Sekretär irgendeines Magnaten. Aber wenn die alte Dame mich dann mit süßem Lächeln beauftragt, ihre Schwester zu liquidieren, relativiert sich alles. Die Menschen können nicht miteinander umgehen, woran nicht immer nur einer schuld ist. Ich löse das Problem. Ich glaube nicht, dass ich das wirklich tue. Die anderen glauben das. Ihr Glaube ist mein Profit.
Sie finden das bedenklich? Ich auch. Ich könnte stattdessen im Gesundheitsamt oder in einem Ingenieurbüro arbeiten. Das aber finde ich noch bedenklicher. Warum sollte auch ausgerechnet der Tod das Schlimmste sein, das einem Menschen zustößt?
Übrigens habe ich mich noch nie an einem Zeugen vergangen. Wenn es einen Zeugen gibt, dann ist es mein Fehler. Jemanden dafür zu bestrafen, halte ich für unangebracht. Zudem sind solche Personen selten eine Bedrohung. Wer will sich schon erinnern? Natürlich, Ausnahmen gibt es immer.
Ich nahm die Schnellbahn vom Flughafen. Taxis sind eine unnötige Erfindung. Kein Mensch hat es wirklich eilig, wenn er mit Bedacht seine Planungen anstellt. Auch Eile ist eine unnötige Erfindung, die uns das Gefühl von Bedeutung vermitteln soll. Kaum etwas in dieser Gesellschaft ist derart hoch angesehen wie der Umstand, keine Zeit zu haben. Und je weniger zu tun ist, desto gehetzter der Mensch. Die Eile stellt genau genommen die vielen Pausen zwischen den wenigen Dingen dar, die wir ernsthaft zu erledigen haben. Die allgemeine Hetze ist die dicke, schwere Fülle, die unsere wenigen Handlungen verbindet.
Mein Quartier, das Hotel Graf Z., lag gegenüber dem Hauptbahnhof. Von meinem Zimmer aus hatte ich einen guten Blick auf den Turm, der aus dem Bahngebäude wuchs. Von dessen Aussichtsplattform ragte ein überdimensionaler Mercedesstern in den trüben Himmel. Natürlich gestand ich den Menschen hier gern zu, dass sie stolz waren, ein solch großartiges Auto hervorgebracht zu haben. Aber musste man diese eitle Wonne der Welt derart aufdringlich präsentieren?
Nach einem Mittagsschlaf, den ich für das Beste halte, was ein Mensch sich antun kann, ging ich unter die Dusche. Als ich aus dem Badezimmer kam, klopfte es, und ein Hotelboy trug ein Tablett herein, auf dem sich eine Flasche und ein Glas befanden. Ich sagte, ich hätte nichts bestellt. Ich sagte es auf Deutsch, immerhin die Sprache, mit der ich aufgewachsen war. Der Hotelangestellte erklärte mir, dass es sich hierbei um eine Aufmerksamkeit der Hotelleitung handle.
»Nette Hotelleitung«, sagte ich.
»Ein Schlehengeist«, sagte der Hotelboy.
»Bitte?«
Der Junge zeigte auf die Flasche. Ich trat näher und las das Etikett. Und da stand: Schlehengeist, ein Destillat vollreifer Schlehen.
»Interessant«, sagte ich und verabschiedete den Hotelboy mit einem Trinkgeld. Dann zog ich mit zwei Fingern die Flasche am Flaschenhals in die Höhe und betrachtete skeptisch die biedere Gestaltung. Doch nach einer ersten Kostprobe wandelte sich die Skepsis in Freundschaft. Ja, ich will das allen Ernstes so ausdrücken: Der Schlehengeist war sofort mein Freund und würde in diesem Stuttgart auch mein treuester Freund bleiben.
Übrigens halte ich die angebliche Abstinenz von Killern für ein dummes Klischee. Die Behauptung, sie würden Orangensaft oder Milch bevorzugen, stellt ein sehr bemühtes Konterkarieren der als schmutzig verschrienen mordenden Tätigkeit dar.
Gegen zwei Uhr ging ich hinunter ins Foyer, wo ich mit einem Mitarbeiter meines Auftraggebers verabredet war. Ein Mensch mit Glatze, die er zu tragen verstand. Stämmig, aber nicht fett. Der Typ, der den Tag mit Liegestützen, kalter Dusche und einer konzentrierten Rasur beginnt. Einer von den Männern, die sich nie in die eigene Haut schneiden. Mit dem eigenen Fleisch ist das etwas anderes. In das schneidet sich jeder einmal. Da gibt es keine Ausnahmen.
Sein Hochdeutsch
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