Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
unerträglich tolerant, wobei kaum auszumachen war, worin seine Toleranz eigentlich bestand, ein Missionstyp eben. Von der Afrikanischen Bibel war er begeistert. Versprach Unterstützung. Nachdem er gegangen war, versuchte ich es doch wieder mit meinem Freund Schlehengeist.
Danach legte ich mich noch einmal hin, döste. Um halb sieben stand ich auf, zog mich für die Party der Denkmalschützer um, fuhr mit der Stadtbahn zum Marienplatz und stieg in die Zahnradbahn um, die steil bergauf zu einem Stadtteil namens Degerloch fuhr. Es hatte stark zu schneien begonnen. Die Konturen der erleuchteten Stadt verschwammen wie hinter dem Sichtfenster einer rotierenden Waschtrommel. Als ich ausstieg, lag bereits eine dicke Schneeschicht. Ich stellte mich unter ein Vordach, schaute hinauf in den Nachthimmel und genoss den Anblick von weißem Regen. Schneefall ist das Schönste, was der Norden zu bieten hat. Ich meine nicht die alpinen Regionen, die Skiabfahrten, auf denen Menschen den Autoverkehr nachstellen, sondern die Augenblicke, da der Niederschlag feiner Kristalle einer ganzen Gegend alles Grobe nimmt. Auch die Grobheit der Geräusche. Die Menschen wirken dann stets ein wenig schief, als würden sie sich ihrem Schatten zuneigen. Bei Schneefall muss ich an den Tod denken, den ich mir als etwas Göttliches vorstelle. Was mich wiederum an den Unterschied zwischen Tod und Tötung denken lässt, also zwischen Gott und mir. Ich töte. Aber Gott ist der Tod, dem wir uns übergeben.
Im Laternenlicht schaute ich nochmals auf meine Karte. Orientierung ist nicht meine Stärke, was meine Kunden aber nicht zu wissen brauchen. Vorbei an einer Kirche, die sich ebenfalls zu neigen schien und deren Geläute wie ein Wesen war, das sich selbst verschluckt, gelangte ich zur »Neuen Weinsteige«, die sich entgegen ihrem lieblichen Namen als stark frequentierte Straße erwies.
Mein Blick fiel auf ein Gebäude, welches auf der Höhe des gegenüberliegenden Hanges aus seiner Umgebung herausleuchtete. Es erinnerte an ein modernes Gewächshaus. Ich überquerte die Straße, marschierte aufwärts und verlor mich zwischen kleinen Straßen, die im Schnee sehr gleichartig aussahen. Ein Passant, den ich ansprach, nahm sich meiner an und führte mich an mein Ziel, das sich als die Rückseite ebenjenes Gewächshauses herausstellte, das sich als Villa erwies. Der gefällige Mensch klopfte mir auf den Oberarm, sodass Schnee von mir abfiel. Dann wandte er sich wortlos um und verschwand im Gestöber. Nett, dachte ich, unheimlich nett.
»Beeindruckend«, sagte ich zu der jungen Dame, die mir öffnete. Und meinte damit die Villa. Die junge Dame aber wollte meine Einladung sehen und schien darüber hinaus nicht autorisiert, mit Fremden zu reden. An ihrer Seite lehnte irgend so ein Kampfhund und äugte treuherzig zu ihr hinauf. Ein Zeichen, und er würde seinem Frauchen die Einladung samt meiner Hand servieren.
Dame und Hund ließen mich passieren. Ein bisschen viel Sicherheit für eine Denkmalschützerparty, fand ich, legte Mantel und Hut in der bereits recht vollen Garderobe ab und strich mit meinen Schuhen über einen der fünf ausgebreiteten Lappen, welche nicht nur klein kariert gemustert waren, sondern auch so wirkten angesichts moderner Gemälde, die bereits dem Vorraum Glanz, Farbe und Ausdruck verliehen. Nun musste ich durch einen Gang, welcher derart eng, heiß und hell war, dass ich ein Konzept dahinter vermutete, das möglicherweise seinen Sinn in der Erleichterung besaß, welche ich empfand, als ich nun jenen hohen Raum betrat, den ich von der Weinsteige aus gesehen hatte. Eine Menge Leute standen in Anzügen und Kostümen herum, noch feucht in den Haaren, in den Händen Gläser, welche mit Sekt oder einer sehr hellen, rötlichen Flüssigkeit gefüllt waren. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um einen hiesigen Rotwein, der meine sehr durchschnittliche Geschmacksbildung irritierte. Ein Wein, der so fruchtig war, dass man darüber den Alkohol vergaß.
Ich ging herum, sah mir die Menschen und die Einrichtung an. Aus einer Gruppe ging ein Kopf in die Höhe: Geislhöringers breiter Flusspferdschädel. Er winkte mir zu. Dann verschwand er wieder in der Gruppe. Auf dem Weg zu ihm stellte mich ein Herr Borowski von der Katholischen Bildungshilfe, der zwei Afrikanische Bibeln bestellt hatte. Ein Mensch mit der Manie, sich ständig zu bedanken, auch dafür, mir hier zu begegnen, und der mir nun, zum zweiten Mal, die Bedeutung seiner Berufung
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