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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Gegend nicht. Viel zu flach. Und das Gefängnis deprimiert mich. Ich hatte keine Lust, nach Stammheim zu kommen.«
    »Und was wollen Sie jetzt?«
    »Ich wollte Ihnen bloß den Schal zurückbringen.« Der Kommissar nahm meine Hand und wickelte nicht ungeschickt das Seidentuch herum. Dann erhob er sich, warf einen mitleidigen Blick auf die Stadt und sagte: »Also, sehen Sie zu, dass meine Leute Sie nicht erwischen. Ich selbst kann nicht viel mehr tun, als Ihnen einen Schal nachzutragen und viel Glück zu wünschen.«
    »Sie werden es bereuen, mich nicht verhaftet zu haben.«
    »Nein, das werde ich nicht«, versprach er und stand auf.
    »Eine Frage noch. Was stellt diese Gerda eigentlich dar?«
    »Ich sagte Ihnen doch, sie ist eine Heilige.« Und als sei es der Worte genug, als drohe gerade das Heilige im Wort sich aufzulösen oder zu etwas Religiös-Anekdotischem zu verkommen, wandte Remmelegg sich um und ging.
    Eine halbe Stunde später betrat ich einen Friseurladen, keineswegs, um mich mittels einer neuen Frisur zu tarnen. Ich wollte einfach etwas für meine Haare tun, für die ich seit Jahren nichts mehr getan hatte, erst recht nicht in den beiden vergangenen Tagen, die ja für ohnehin schon angegriffenes Haar eine Tortur gewesen sein mussten.
    Der junge Mann, der mich bediente, erinnerte mich an meinen Freund Fisch, an einen gereinigten Fisch, also auch an einen gereinigten Punker. Ein schicker, wilder Kerl. Aber nett. Keineswegs spöttisch angesichts meiner Haare. Aber auch nicht verlogen. Er sagte, er heiße Bero und würde das Menschenmögliche versuchen. Und während Bero wie ein vielarmiger Chirurg seinen Eingriff vornahm, erzählte er mir von Dingen, die ich ihm nicht glaubte, nämlich von der Wahrheit der Werbung und der Zukunft des modernen Gefühlsmenschen, etwa am Beispiel von Textilien. Er erzählte von Hemden, welche raffinierte Duftstoffe verströmten und dadurch die Sexualbereitschaft des Gegenübers wesentlich erhöhten. Man kann auch sagen: stinkende Hemden, die im Grunde jene Gerüche transportierten, welche der Träger dieser Hemden eben erst mittels der Hygiene vom Körper verdrängt hatte. Also: Der Mensch benötigt ein Hemd, um nach sich selbst zu riechen. Und darf es nicht ausziehen, will er seinen Erfolg nicht gefährden.
    »Gibt’s doch nicht«, sagte ich, während Bero seine Modellierschere über meinen Schädel jagte und die Arbeit auch nicht unterbrach, als er sich zu mir beugte, damit ich an seinem Leibchen riechen konnte. Na ja, es roch ein wenig streng. Andererseits machte Bero einen gewaschenen Eindruck. Dennoch, ich blieb skeptisch.
    Die Frisur ging in Ordnung. Das Menschenmögliche eben. Ich bin nie ein Haarmensch gewesen. Bero empfahl mir, mit der Zeit zu gehen und eines von diesen »anziehenden« Hemden zu kaufen.
    Ich dankte für den Rat, zahlte und verließ das Geschäft. Um gleich gegenüber in einen Laden zu treten, wo ich eine Krawatte erstand, die in etwa zu meinem Schal passte. Die Verkäuferin erinnerte mich an Bero. Ein hochmodisches Wesen. Sie war so freundlich, mir die Krawatte umzubinden. Dabei bewegte sie sich, als wandle sie durch einen Videoclip. Dass sie ziemlich intensiv nach Schweiß roch, hielt ich für einen traurigen Zufall.
    Das bleiche Winterlicht ging bereits zur Neige, als ich ins Foyer des Hotels Graf Z. trat. Ich stellte mich an die Rezeption. Der Portier schenkte mir ein gequältes Lächeln. Ich lächelte zurück und bat ihn, Herrn Jooß zu benachrichtigen, ich würde in der Hotelbar auf ihn warten. Mein Name sei Dr. Renninger von der Katholischen Hochschulgemeinde.
    Ein kleiner Temperatursturz im Gesicht des Hotelangestellten verriet mir, dass ich soeben in seiner Achtung gesunken war. Trotz akademischen Grades. Denn leider hat alles Katholische in der heutigen, vom Protestantismus unterwanderten und von einer liberalen Kapitaldominanz beherrschten Gesellschaft seine Bedeutung verloren. Ein katholischer Priester etwa war früher ein Kaiser, zumindest ein regionaler Diktator. Jetzt mussten die meisten froh sein, wenn man sie duldete. Der Sturmlauf des Islam ist nicht das Problem. Das Problem ist der fehlende Sturmlauf des Katholizismus. Schade.
    »Haben Sie einen Termin?«, fragte der Portier.
    »Sagen Sie Herrn Jooß, es geht um einen größeren Auftrag. Ich wäre ihm sehr verbunden, wenn er ein paar Minuten Zeit für mich hätte.«
    Der Gesichtsausdruck des Portiers näherte sich der Verfinsterung. Dennoch griff er zum Hörer, trat einen Schritt

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