Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
logische Domäne der Weißen. Nun teilt man sich die Schlechtigkeit, was ich durchaus begrüße. Man kann einander verabscheuen und sich dennoch die Macht teilen. Man muss nicht in dieselben Restaurants gehen, auf denselben Bänken sitzen und kann dennoch gemeinsam die Wirtschaft vorantreiben. Bänke für Schwarze, Bänke für Weiße, aber eine vereinte Bankproduktion. Koexistenz ist keine Frage der Liebe. Es geht darum, den eigenen Ekel zu akzeptieren. Aber Ekel als Ideologie, das ist der Irrtum. Es gibt nur eine Objektivität, und die besteht in der Subjektivität des Auges. Ein Schwarzer ist hässlich und stinkt, wird er von einem Weißen betrachtet. Ein Weißer ist hässlich und stinkt, wird er von einem Schwarzen betrachtet. Wir sind alle hässlich und stinken. Das ist eine Wahrheit, die mir gefällt.
Geislhöringer schaute auf die Uhr, seufzte und erklärte, er hätte einen Termin. Er bot mir an, dass sein Chauffeur mich durch die Stadt fahren könnte. Ich lehnte dankend ab und verabschiedete mich. Ich wollte ein wenig spazieren. Und zwar mit Überblick. Weshalb ich erst meinen Stadtplan studierte. Dann schlenderte ich vom Mittleren hinüber in den Oberen Schlossgarten, passierte das Staatstheater sowie einen Glas-Stahl-Kubus, den ich zunächst für ein Museum hielt. Aber es handelte sich um den Landtag. Das Museum lag auf der anderen Seite der Konrad-Adenauer-Straße und hieß Staatsgalerie. Ja, das war Deutschland. Hier lag die Kunst im Schoße des Staates, wo sie ja auch hingehört. Das Bauwerk selbst erschien mir wie aus dem Versandhandel der Postmoderne. Allerdings muss gesagt werden: Der Architekt hatte gut eingekauft. Und auch das ist eine Kunst, in dieser Stadt ohnehin eine seltene. Das Stuttgarter Zentrum, zumindest soweit ich es in der nun folgenden Woche kennenlernte, erweckte den Eindruck, als hätte jemand Wir bauen eine Stadt gespielt. Und jeden Baustein verwendet, der ihm in die Finger gekommen war.
Zurück in meinem Hotelzimmer, fand ich ein Kuvert auf dem Tisch, in dem sich eine Einladung befand, hausbacken modern, mit zartblauen Balken, die kreuz und quer über die Schrift zogen und das Lesen zum Ärgernis machten. Der Förderkreis der wiedervereinigten Denkmalpflege gab sich die Ehre, mich für Sonntagabend zu einer Zusammenkunft einzuladen. Ich war mir nicht sicher, ob diese Einladung mein Freund Geislhöringer veranlasst hatte oder ob sie meiner Tätigkeit galt, deretwegen ich offiziell nach Deutschland gekommen war, nämlich um für eine Bibelausgabe zu werben, die von afrikanischen Künstlern gestaltet worden war.
Obwohl eigentlich gläubig in katholischem Sinne, halte ich das Studium der Bibel für überflüssig. Diese Märchen- und Geschichtensammlung für das Wort Gottes zu halten ist eigentlich lästerlich. Vom kaufmännischen Standpunkt aus jedoch ist das Buch der Bücher ein erfreuliches Produkt. Und ich war mir nicht zu schade – oder, wenn man so will, zu dumm –, mit viel Engagement, jedoch schlecht bezahlt, die Promotion für unsere Afrikanische Bibel zu betreiben. Die Illustrationen zeigten, wie sich Bantus, Berber oder Niloten, zumindest deren Künstler, Gott vorstellen, nämlich dunkelhaarig, was nicht weiter verwundert.
Am folgenden Tag, einem Samstag, hatte ich mehrere Termine mit Damen und Herren diverser christlicher Kirchen, um sie zu einem Ankauf meiner nicht gerade billigen Heiligen Schrift zu motivieren. Die Leute waren durchweg freundlich, aber der Rechenstift schien ihnen schwer im Magen zu liegen. Zudem wurde ich von allen gefragt, wie viele Kinder ich denn hätte. Gar keine Kinder zu haben, schien hier offensichtlich nicht infrage zu kommen. Aus Lust an der Übertreibung – aber auch um mein Geschäft nicht zu gefährden – gab ich acht Stück an, vier Jungen, vier Mädchen. Dieser Umstand veranlasste die Leute zu allergrößter Herzlichkeit und auch dazu, sich eine Bestellung meiner Ware wenigstens zu überlegen. Im Übrigen war ich gezwungen, beträchtliche Mengen Alkohol zu mir zu nehmen. Die christlichen Herrschaften zeigten sich diesbezüglich überraschend generös. Man trank mit Zurückhaltung, aber man trank.
Die erste Hälfte des Sonntags verbrachte ich im Bett. Dann ging ich hinunter ins Café, bestellte schwarzen Tee und traf einen Herrn aus Kassel, der einen christlichen Bücherversand betrieb, seinerseits vorgab, acht Kinder zu ernähren, und mir mit seiner Begeisterung für Afrika auf die Nerven ging. Ein ehemaliger Entwicklungshelfer,
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