Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
war mittels eines bayerischen Akzents versüßt, und er besaß die unangenehme Eigenart, mich ständig anzufassen, als wäre ich sein lieber Bruder. Aber seine gerade, offene Art lag mir. Das mag ich an den Deutschen. Sie reden nicht herum, als ginge es bei einem Auftragsmord um ein Verpackungsproblem.
Herr Geislhöringer führte mich in den benachbarten Schlossgarten, beklagte sich über die kalte Jahreszeit, der fehlenden Biergärten wegen. Wie Stuttgart mir gefalle, fragte er mich in einem Tonfall, als würde er, der Bayer, wenig von dieser Stadt halten. Ich sagte ihm, dass ich kaum noch etwas gesehen hätte. Dann nutzte ich die Möglichkeit, fasste ihn meinerseits am Arm, zeigte hinüber zum Bahnhofsturm, auf den Stern hinauf, und fragte ihn, ob so etwas nötig sei.
»Schaut natürlich b’schissen aus«, sagte er und eröffnete mir nun, dass genau dort oben die Plattform sich befinde, von der aus ich das Attentat vorzunehmen hätte. Der Stern würde dabei hoffentlich nicht stören.
Es war nicht an mir, den Platz auszusuchen.
Geislhöringer reichte mir einen genauen Lageplan des gesamten Geländes, eine gekennzeichnete Darstellung der Fassade der Landesbank und einen Zettel mit der Adresse der Stadtbücherei, wo ich am folgenden Montag den Lieferanten für mein Arbeitsgerät treffen sollte. Zudem erhielt ich ein paar Fotografien, auf denen jene Person abgebildet war, die zu töten man mich gerufen hatte.
Ich mache natürlich keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern – warum sollte ich? Und ich liquidiere nie mehr als eine Person.
Die Frau auf den Abbildungen war um die fünfundvierzig, eher hager als schlank, sah aber nicht aus, als würde es ihr an Esslust fehlen. Der Läuferinnentyp. Eine Läuferin mit Hang zu eleganter Kleidung, was man auch nicht alle Tage sieht. Die Haare waren irgendwie zu Fülle gebracht, was mich weniger überzeugte. Sie war eine Frau, die zu sich stand, aber eben nicht zu ihren Haaren.
Worauf ich stets achte, sind Details. Womit nicht irgendein Leberfleck gemeint war oder dass die Dame auf jedem Foto die immer gleiche silberne Brosche trug. Ich hatte das, was mir ins Auge stach, erst ein einziges Mal gesehen. Und das lag zehn Jahre zurück. Ich war in Padua einem hohen Staatsbeamten vorgestellt worden. Sofort war mir aufgefallen, was an dem Mann nicht stimmte. Optisch gesehen. Seine Ohrläppchen besaßen völlig unterschiedliche Formen. Der Gegensatz war so eklatant, dass dies eigentlich jedem hätte auffallen müssen. Was aber nicht der Fall war. Der Staatsbeamte hatte meinen Blick sofort richtig gedeutet und mir erklärt, wie selten die Leute seine »kleine, bescheidene Anomalie« bemerken würden, und beglückwünschte mich zu meinem guten Auge.
Dieses gute Auge besaß ich noch immer. Weshalb mir bei der Betrachtung der Fotografien, die mir Geislhöringer übergeben hatte, erneut eine derartige Ungleichheit auffiel. Das linke Ohrläppchen der Frau, die ich in der Nacht vom 16. auf den 17.Januar töten sollte, war klein, jedoch – wenn man so will – fett und lag dicht an der Ohrmuschel, während der gegenüberliegende Zipfel viel eher der Gestalt seiner Trägerin entsprach, indem er eine längliche, flache Form besaß, die mehr aufgesteckt als angewachsen wirkte. Das klingt recht monströs, doch war der Unterschied bei der frontalen Betrachtung des Gesichts kaum auszumachen, und nur ein genauer Blick auf die Profile offenbarte den Widerspruch.
Diese Frau war mir unbekannt. Wohl eine Bildungslücke, denn sie schien eine gewisse Prominenz zu besitzen. Auf den Fotos war sie von Personen umgeben, die ich aus der Presse kannte, schließlich war ich oft genug in Deutschland gewesen. In erster Linie waren es Politiker. Dazu kamen Fernsehleute, die sich Schauspieler nannten, auch einige Schriftsteller und Theatermenschen, die sich in die Gesellschaft mischten und dabei glaubten, sie würden sich in die Politik mischen.
Ich fragte Geislhöringer nicht, warum diese Frau sterben sollte, ließ mich aber zu der Bemerkung hinreißen, sie sei eine attraktive Person.
»Absolut«, bestätigte Geislhöringer. Mehr jedoch wollte er zu dieser Dame nicht sagen. Stattdessen erkundigte er sich, wie es denn zur Zeit um Südafrika stehe.
Das wollen sie natürlich alle von mir hören: dass ich als Weißer, erst recht als Nachkomme deutscher Einwanderer mich beschwere. Aber ich habe keinen Grund dazu. Zumindest in Südafrika war die Schlechtigkeit, solange die Apartheid bestand, die
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