Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
zurück und informierte seinen Gast. Jooß ließ sich erweichen. Schließlich waren Bibeln sein Geschäft. Eine geradezu klassisch-abgeschmackte Tarnung, fand ich.
    Ich beeilte mich, in die Bar zu kommen, die glücklicherweise gut besucht war; irgendwelche Computermenschen auf Tagung, die sich schamlos betranken und es originell fanden, Behindertenwitze, Pissoirwitze, Sputumwitze, Lesbenwitze, Kolik- und Cholerawitze zum Besten zu geben. Ich stellte mich an den Rand dieser dröhnenden Gruppe und verbarg mich hinter einer Säule. Ich wollte den Südafrikaner ja nur einmal gesehen haben. Man kann auch sagen, ich tat nichts anderes, als Zeit zu schinden. Schließlich hätte ich auch einfach hinaufgehen und versuchen können, ihn umzulegen. Oder so ähnlich.
    Ich wusste gleich, dass er es war, der Bibelmann, der Killer, als er nun eintrat. Nicht nur, weil er sich fragend umschaute. Genauso hatte ich mir einen Berufsmörder vorgestellt, einen wahrhaft professionellen: eher unscheinbar, dicklich, ältlich. Nur dass er gebräunt war, störte das Bild. Gut, der Mann kam aus Südafrika, wo man der Sonne nicht so richtig entkam.
    Er sah sich um, ging dann an die Theke, um sich zu erkundigen. Der Barkeeper zuckte mit den Schultern. Jooß ließ sich einen Schnaps geben. Mir gefiel die Art, wie er trank. Bedächtig, aber auch nicht so, dass sein Trinken in ein Theater des Genießens ausartete. Nach einem zweiten Glas verließ er den Raum.
    Gut, das also war Jooß. Aber ein Konzept besaß ich noch immer nicht. Ich trat aus der Bar und setzte mich im Foyer in einen von diesen bequemen Ledersesseln, in denen man einschlafen könnte, und schlief auch ein. Natürlich gegen meinen Willen oder auch nur gegen meinen offiziellen Willen. Es war ein guter Schlaf, den ich bitter nötig hatte.
    Aus selbigem weckte mich der Portier. Er blickte mich vorwurfsvoll an und meinte, Herr Jooß habe soeben das Hotel verlassen. Ich sprang auf, dankte. Der Dank verflüchtigte sich unquittiert im Raum.
    Als ich auf die Straße trat, erkannte ich sofort Jooß’ Gestalt. Er hatte einen ruhigen, gemächlichen Gang. Er ging so, wie er trank. Ich folgte ihm.

Und der fünfte Engel posaunte: und ich sah einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen war; und es wurde ihm der Schlüssel zum Schlund des Abgrundes gegeben.
    Offenbarung 9,1 (Deutsch: Elberfelder)
    2|  Der Killer
    Mein Name ist Jooß. Ein komischer Name, mag sein. Aber in siebenundfünfzig Jahren habe ich mich an ihn gewöhnt. Mehr fällt mir zu meinem Namen nicht ein.
    Wozu mir einiges einfällt, das ist die Sache, die in Stuttgart abgelaufen ist. Allerdings möchte ich betonen, dass ich diese Geschichte nicht ohne guten Grund erzähle. Der gute Grund ist finanzieller Natur. Dass jemand meinen Bericht benutzen wird, um daraus eine Story zu machen, ist wiederum ein anderes Kapitel. Ich halte alles Schriftliche für überflüssig. Die Dinge werden nicht wirklicher, indem man sie beschreibt, im Gegenteil, sie verlieren an Würde, werden platt, durch Sprache eingeebnet. Literatur ist eine Krankheit. Schwerkranke schreiben für die Leichtverletzten, die Bücher für eine Medizin halten. Schlucken sie sie lang genug, werden sie ebenfalls schwer krank. Manche beginnen dann leider Gottes selbst zu schreiben, zumeist Autobiografisches. Dramatisierung von Banalitäten, woraus sich schwere Infektionen ergeben. Ein Teufelskreis.
    Ich rede über die Vorgänge, weil ich dafür bezahlt werde. Das ist immerhin ein vernünftiger Anlass. Einmal und nie wieder. Ich eröffne Konten, keine Tagebücher.
    Ich war nie zuvor in Stuttgart gewesen, denn ich arbeite immer nur einmal in derselben Stadt. Das ist mein Prinzip, an dem ich festhalte, seit ich vor zwanzig Jahren in diesem Gewerbe anfing. Ich will nichts beschönigen: Ich töte Menschen, die es vielleicht verdient haben, vielleicht auch nicht. Ich bin kein Schlächter, fasse nie jemanden an. Meine Opfer sehen mich nicht. Das ist eine Frage des Anstands. Zwischen uns liegt in der Regel die beträchtliche Distanz, die das Projektil benötigt, um eine bestimmte Strecke zu überwinden. Warum sollten die Leute mein Gesicht sehen wollen? Sie interessieren sich ja auch nicht für den Kellner, der ihnen das Essen serviert. Vielleicht bringt sie dieses Essen um, oder eines Tages bringen die vielen Essen ihres Lebens sie um. Der Kellner hat damit wenig zu tun. Ich bin nichts anderes als ein Kellner, der ein Essen serviert, an dem einer stirbt. Ich wähle das Opfer

Weitere Kostenlose Bücher