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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Zebra.
    Szirba hielt sich in der Waagerechten. Oder die Waagerechte hielt ihn. Sein Blick war gläsern und auf einen imaginären Punkt gerichtet, der nicht vor, sondern hinter seinem Auge lag, als schaue er hinunter in seinen jetzt leeren Magen.
    »Ich hoffe, Sie haben das Badezimmer nicht überschwemmt«, sagte Frau Utz.
    Ich gab keine Antwort, fragte sie, wie es mit Kaffee wäre. Sie gab ebenfalls keine Antwort, erhob sich aber, um in die Küche zu gehen.
    Ich setzte mich in den freien Stuhl. Mein Körper war wie ein gestrandeter Schiffskörper zur Ruhe gekommen. Es dauerte keine zehn Sekunden, dann war ich eingeschlafen. Der Traum, in den ich geriet, war ein überaus klassischer, und während ich noch träumte (und ich wusste, dass ich es tat, was dem Schrecklichen aber leider nichts von seinem Schrecken nahm), machte ich mir Gedanken über seine Bedeutung. Ich befand mich in einem Raum wie dem, in dem ich tatsächlich saß, nur dass Szirba fehlte und eine künstliche, durch nichts begründete Helligkeit herrschte. Und dass von der Decke Spinnen hingen, kleine, große, behaarte, glatte, in den herrlichsten Farben wie Lampions leuchtend oder einfach nur schwarz und fett, eine enzyklopädische Ansammlung. Ich fürchtete mich nicht vor Spinnen, das war nie der Fall, soweit man das sagen kann. Nun aber fühlte ich mich durchaus unbequem, obwohl keines der Tiere mir näher kam. Ich rutschte auf dem Stuhl hin und her. An Aufstehen war nicht zu denken. Ich wäre mit dem Kopf in die Spinnenfamilie geraten. Blieb die Möglichkeit, gebückt oder auf allen vieren aus dem Zimmer zu kriechen. Was ich aber nicht tat, wie man ja oft in Träumen nicht tut, was sich anbietet. Stattdessen robbte nun Szirba ins Zimmer, keineswegs mit mechanischen, puppenhaften Bewegungen, eher sportlich-militärisch.
    »Es scheint Ihnen schon besser zu gehen«, sagte ich.
    Er hob den Kopf und öffnete den Mund, aus dem aber kein Wort kam. Eine fürchterliche Sekunde lang, die den Geschmack von Ewigkeit besaß, fürchtete ich (auch der Traumdeutung wegen), dass nun eine oder mehrere Spinnen aus seinem Mund kriechen würden. Es waren aber bloß…schlichte Seifenblasen, die aufstiegen und noch in der Luft zerplatzten, oder indem sie gegen die Spinnen stießen. Wofür stehen Seifenblasen? Doch wohl kaum für das Zerplatzen schöner Illusionen oder das Hohle alles Gesprochenen oder gar für die Angst vor der Vergänglichkeit. Das wäre zu banal. Was aber dann? Ich zermarterte mir den Schädel darüber, doch ohne Erfolg. Es war kein wirkliches Nachdenken, sondern ein reines Zermartern, ein gedankenloses Denken, falls es so etwas gibt, vergleichbar einer Kniebeuge, die im Ansatz stecken bleibt, was ja auch zu einer Anstrengung führt, praktisch zu einer Skihocke.
    Währenddessen produzierte der arme Szirba unentwegt Seifenblasen und entwickelte dabei immer mehr den Eindruck eines Kranken und Schwachen. Womit ein Bezug zur Wirklichkeit hergestellt war. Was mich ärgerte – diese dumpfe Augenscheinlichkeit. Über den Ärger vergaß ich die Seifenblasen. Und im Vergessen begriffen, erwachte ich, wie um nicht alles zu vergessen.
    Szirba saß noch immer im Stuhl. Der Kopf war bloß ein wenig nach vorn und auf die Seite gerutscht. Frau Utz, noch immer im Hausmantel und eine große Tasse Kaffee zwischen den Händen, lag quer über einem Schaukelstuhl und starrte auf das eingeschaltete Fernsehgerät. Man sah gerade einen Helikopter, der gewagte Schleifen um einen leuchtenden Mercedesstern zog. Die merkwürdig heitere Stimme eines Kommentators beschrieb das, was man ohnehin sah.
    Ich stand auf, um mich zu recken. Auf halber Höhe stoppte ich abrupt und zog rasch den Kopf ein, als wäre ich gegen eine unsichtbare Zimmerdecke gestoßen. Ein Rest vom Traum. Aber da waren keine Spinnen. Zumindest keine, die herabbaumelten. Somit war der Weg frei. Ich machte mich gerade, breitete die Arme aus und gähnte. Aber das war nur noch eine nachträgliche, nicht mehr wahrhaftige Geste.
    »Was ist los?«, fragte ich nebenher.
    Wohl ein wenig zu nebenher. Denn statt mir eine Antwort zu geben, fragte mich Frau Utz, ob ich mit dieser Sache etwas zu tun hätte.
    »Womit denn?«
    »Man hat auf Hübner geschossen.«
    »Und wer ist das?«
    »Hören Sie auf.«
    »Ich kenne ihn wirklich nicht. Ich bin ja nicht von hier. Das sollte Ihnen doch schon an meinem Akzent aufgefallen sein.«
    »Paul Hübner. Der neue Mann bei den Sozis. Die rechte Hand des Kanzlers, sagt man, oder die rechte

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