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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Hand des Teufels, oder der Teufel rechts vom Kanzler. Aber ich finde, der Mann ist prima. Ein Realist.«
    Als ob ich es nicht besser wüsste, fragte ich: »Tot?«
    »Hübner hat Glück gehabt. Das muss ein Amateur gewesen sein, der da geschossen hat. Ein Verrückter, ein linker Schwachkopf.«
    Auch wenn es dumm ist: Die Bezeichnung Amateur tat mir weh. Eben weil ich Frau Utz nicht aufklären konnte.
    »Hat man ihn erwischt?«
    »Nein. Der hat sich irgendwo im Bahnhof verschanzt. Hoffentlich knallen sie dem die Eier zwischen den Beinen weg.«
    Es war schon klar, wie Frau Utz zum Individualterrorismus stand. Zu Recht, wie ich eigentlich sagen müsste. Doch einmal abgesehen vom Politischen, hegte ich eine romantische Sympathie für das Einzeltätertum, wohl auch meines eigenen Berufs wegen, obgleich ich – grob gesprochen – eher die Interessen des Establishments als die von Außenseitern vertrat.
    »Das Badezimmer war eine Katastrophe«, konstatierte Frau Utz.
    »Bitte?«
    »Ihr Männer kotzt, und dann geht ihr schlafen. Woran liegt das? Warum sind Männer unreinlich? Ist das Natur?«
    »Nun …«
    »Natürlich nicht. Es ist Kultur. Die dreckigen Unterhosen der Männer, diese Abermillionen angekackter Unterhosen, das ist Kultur.«
    »Danke.«
    »Wofür?«
    »Dass Sie sauber gemacht haben.«
    »Ich glaube, Sie spinnen. Sie denken doch nicht im Ernst …«
    Was ich dachte, war: Wie raffiniert die Frauen doch sind, wie überlegen. Und genau das scheint Natur zu sein, so ungerecht die Natur nun mal ist. Das Zurückdrängen der eigentlich Überlegenen, also der Frauen wiederum, ist eine Kulturleistung, auch diese ungerecht, aber erstaunlich. Die Gleichstellung der Frau gefährdet somit die Kulturleistung, wenngleich sie moralisch gesehen erfreulich ist. Moral freilich ist ein Luxus in Zeiten des Friedens, den man gegebenenfalls zurücknehmen muss. Wenn man kann. Weshalb man auch in Friedenszeiten pessimistisch und prophylaktisch denken sollte.
    »Sie oder Ihr Freund?«, sagte sie.
    »Bitte?«
    »Wer von euch geht ins Badezimmer und macht sauber?«
    Ich sah hinüber zu Szirba. Noch immer eine Puppe. Was mir auch lieber war. Ich wollte nicht, dass er etwas von der Berichterstattung mitbekam. Und wenn, redete er wenigstens nicht. Sein Mund war halb offen. Es sah aus, als wäre sein Atem ein Förderband, welches auf zwei übereinanderliegenden Ebenen gleichzeitig und gleichmäßig die Luft hinein- und hinaustransportierte. Ich stand auf, richtete seinen Kopf und ging ins Bad, um die Sauerei – genau genommen die von Frau Utz verschuldete Sauerei (siehe Hustentropfen et cetera) – zu beseitigen.
    Als ich zurückkam, hatte Szirba seinen gesunden Arm gehoben. Der Zeigefinger war durchgebogen, während die restlichen Finger herabhingen. Sein Gesicht war unverändert. Er wirkte nun geradezu debil, wie er da auf den Fernseher zeigte. Man sah soeben ein Foto Annegrete Holdenrieds. Der Reporter erklärte (wohl nicht zum ersten Mal und ohne seine gewohnte Heiterkeit), dass Frau Holdenried unverletzt sei und mit der Sache selbst nichts zu tun habe. Sie sei das Opfer eines unglückseligen Zufalls. Kein Wort darüber, warum sie sich ausgerechnet um vier Uhr früh mit dem Politiker getroffen hatte.
    »Sie sollten jetzt Ihren Freund nach Hause bringen. Er wird langsam lebendig.«
    »Ich sollte dich einfach abknallen«, sagte ich. Das ist nun wirklich nicht meine Art, auf derart plumpe Art zu drohen. Und aus dem Nichts heraus jemanden zu duzen. Es war mir herausgerutscht. Beinahe hätte ich mich entschuldigt. Aber ich sah, dass ich sie eingeschüchtert hatte, ausgerechnet mit einem Standardspruch aus der nun wirklich untersten Schublade. Man kann es auch so sehen: Ich hatte geknurrt. Manchmal setzen die sich durch, die einfach lauter sind.
    Frau Utz wurde langsam nervös. Weshalb ich Szirba aufrichtete. Immerhin, stehen konnte er allein. Etwa wie einer von diesen dünnbeinigen Wäscheständern. Ich hakte mich bei ihm unter und führte ihn aus dem Raum.
    »Was ist mit den restlichen zweitausend?«, rief Frau Utz mir hinterher. So mutig war sie nun doch.
    »Später«, gab ich zur Antwort. Ich hätte ihr sagen können, dass sie meinen Freund beinahe umgebracht hatte. Ich ließ es bleiben und trat mit Szirba aus der Wohnung und stieg in den Aufzug.
    Draußen empfing uns die kalte Luft beinahe schmeichlerisch.
    »Guuut«, sagte Szirba, als hätte er soeben sprechen gelernt. Farbe kehrte in sein Gesicht zurück. Auf seinen Wangen sprossen

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