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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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bis zur Decke reichten – eine Ansammlung erstklassiger (soweit ich das beurteilen darf) alkoholischer Getränke eine Heimstatt gefunden hatte. Der Zustand der Flaschen stand im krassen Widerspruch zur Umgebung. Sie glänzten, als wären sie eben erst poliert worden. Und tatsächlich stand auf der Theke, direkt vor dem Wirt, eine das Auge geradezu blendende Flasche Portwein, Fonseca 1963; daneben lag ein weißer Putzlappen. Dieser Widerspruch zwischen der Sauberkeit einer seltenen alten Portweinflasche und einer vom Dreck geradezu konservierten Einrichtung stellte wiederum selbst einen Widerspruch dar. Denn üblicherweise wurden solche Alkoholika nur in sogenannten besten Häusern, also eher enervierend reinlichen Etablissements angeboten. Wobei jedoch auf den dortigen Flaschen der Staub und Dreck und Schimmel von Jahrzehnten lag, um das vornehme Alter der Spirituosen auf drastische Weise zu unterstreichen.
    Ein weiterer Unterschied bestand wohl darin, dass man den dreiundsechziger Portwein hier nicht kaufen konnte. Handelte es sich doch um eine Sammlung, was mir wiederum meinen Traum ins Gedächtnis rief. Und ich fragte mich, ob die herabhängenden Spinnen nichts anderes gewesen waren als die Vorausschau auf eine ganz andere, erfreulichere Art von Anhäufung.
    Auf der abgegriffenen, mit Spuren abgestellter Gläser übersäten Getränkekarte waren die üblichen Belanglosigkeiten ausgewiesen, Bier aus der Gegend, Wein aus der Gegend, dazu Valpolicella und Chianti. Auch gab es keinen Whisky von Bedeutung. Und keinen Schlehengeist. Nur etwas, das sich »Essig« und etwas, das sich »Whorff« nannte. Ich bestellte zwei Bier. Nicht bei dem Mann hinter der Theke, sondern bei einem jungen Kerl, der etwa so gesund wie Szirba aussah. Das Bier kam rasch. Mit ordentlichen Schaumkronen ausgestattet. Der Rand der Gläser allerdings wirkte herpetisch.
    »Tut mir leid, Szirba, aber es musste sein«, sagte ich und hielt ihm mein Glas entgegen. Er nahm das seine noch unsicher in die Hand. Wir stießen an. Szirba nahm einen Schluck, und trank das Glas bis ins untere Drittel leer. Zur Farbe trat jetzt auch eine gewisse Lebendigkeit in sein Gesicht. Ja, man konnte mit ansehen, wie ein Gesicht entstand, wie sich auf einer glatten Fläche Ein- und Ausbuchtungen bildeten, wie seine Nasenlöcher wieder zu jener relativ beträchtlichen Größe anwuchsen, die mir als Erstes an ihm aufgefallen war.
    Mit den Nasenlöchern kam auch eine richtige Sprache. Und es zeigte sich, dass Szirba bereits in der Wohnung der Ute Utz zur Aufnahme fähig gewesen war.
    »Sie hatten es also gar nicht auf Frau Holdenried abgesehen«, bezog er sich auf den Fernsehbericht.
    »O doch.«
    Ich beschloss, ihm zu berichten, wie alles gekommen war. Unter der Bedingung, dass auch er seine Geschichte erzählte. Vielleicht würde etwas Erhellendes herauskommen, wenn wir unsere beiden Dramen zusammenlegten.
    Szirba war einverstanden. Wir bestellten eine weitere Runde und machten uns an die Arbeit.
    Nachdem zwei Stunden vergangen waren, hatten wir uns so weit ausgetauscht, dass ich zur Quintessenz gelangte, diese ganze Geschichte besitze einen unwirklichen Touch.
    »Einen Touch? Warum sagen Sie nicht gleich einen Hauch?«, spottete Szirba.
    Er hatte recht. Gleichzeitig meinte ich in dem Unwirklichen das eigentlich Wesentliche zu begreifen, geradeso als wäre ich ein Siebzehnjähriger, der in diesem Moment die Geneigtheit und das Bucklige alles Geraden erkennt.
    Was mich bei dieser Geschichte in keiner Weise überraschte, war der Umstand, dass ich weder im Fernsehen noch in den Zeitungen von der Schießerei im Hauptstätter Hospital erfahren hatte. Wenn es sich tatsächlich um das Killerkommando einer einschlägigen Agentur gehandelt hatte, so waren das genau jene Leute, die – wenn sie schon ihren Auftrag nicht erfüllten – die Leichen in den eigenen Reihen zu beseitigen wussten. Derartige Unternehmen verfügten über spezielle Reinigungstrupps. Da blieb kein Blutfleck, keine Spur zurück. Die Reinigungstrupps waren der eigentliche Pluspunkt solcher groß angelegten Aktionen.
    Szirba und ich einigten uns darauf, die Sache gemeinsam durchzustehen. Was blieb uns auch anderes übrig? Unsere Zusammenarbeit war gewissermaßen das Surrogat der Zusammenarbeit zwischen Szirba und dem Boxer sowie der zwischen mir und Bötsch. Noch war nichts zu einem Ende gekommen. Außer den paar Toten und vielleicht den beiden Bötschs, die entweder auch tot waren oder sich in der Freiheit der

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