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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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erhob sich, klopfte seinen Hut in Form und setzte ihn wieder auf. Dann bekreuzigte er sich. Die Leute taten es ihm gleich und klatschten kurz Beifall, als der tote Hund auf das Pflaster plumpste.
    Dort blieb er liegen und starrte mit leeren Augen zu Elsa auf, die seinen Blick ungläubig und voller Entsetzen erwiderte. Dann, noch während sie zu begreifen versuchte, was sie da soeben mit angesehen hatte, geschah etwas Eigenartiges. Die blauen Augen verdunkelten sich. Sie änderten ihre Farbe wie ein Stück Papier, das langsam von Feuer zerfressen wurde. Innerhalb von Sekunden verwandelten sie sich von Himmelblau zu verkohltem Schwarz. Eine kühle Brise strich über Elsas bloße Arme und sie erschauderte gleichermaßen vor Verwirrung und Angst.
    Ein paar Leute aus der Menge bedankten sich bei dem bärtigen Mann oder klopften ihm auf die Schulter. Dann gingen sie unter zufriedenem Geplauder wieder ihrer Wege, als verließen sie eine Theatervorstellung.
    Der Mann beugte sich über den toten Hund, zerrte ihn an den Ohren vom staubigen Pflaster hoch, warf sich den Kadaver über die Schulter und richtete sich wieder auf. Die Menge hatte sich inzwischen zerstreut. Nur Elsa blieb zurück, unsicher, aber zutiefst erschüttert. Sie hatte noch nie zuvor mit angesehen, wie jemand völlig grundlos ein Tier umgebracht hatte. Den toten Hund auf dem Rücken, drehte der Mann sich fragend zu ihr um.
    »Ma’am«, sagte er und neigte grüßend den Kopf.
    »Was … Warum … Was haben Sie da gerade gemacht?«
    »Das war ein Wilder, Ma’am«, erwiderte er, als erklärte das alles. Er wollte an ihr vorbeigehen, doch sie trat ihm mit einem schnellen Schritt in den Weg.
    »Sie hätten ihn aus der Stadt bringen können oder in ein Tierheim … oder … oder was weiß ich!«
    Er runzelte die Stirn. Plötzlich erschien er ihr wie aus blankem Fels gehauen, und nicht wie jemand, der einst ein Kind gewesen war. Doch sie wich nicht zurück.
    »Das hier, das hat Sie erschreckt?« Er klang verwirrt.
    Elsa nickte, als habe er den Verstand verloren, doch seine Stimme hatte sanfter geklungen als erwartet, und er schien ernsthaft, wenn auch ein wenig verdutzt, über ihre Reaktion nachzudenken, während die ganze Zeit der Kadaver über seiner Schulter hing, dessen verfärbte Augen inzwischen in ihren Höhlen nach oben gerollt waren.
    »Das war ein Wilder«, wiederholte er.
    »Das«, sie warf die Hände in die Luft, »das war ein lebendiges Wesen!«
    Er zog die Stirn kraus, als wollte er ihr widersprechen, stattdessen aber sagte er: »Sie sind nicht aus Thunderstown, oder? Sonst würde ich Sie und Ihre Familie kennen. Es ist mir eine Freude, ein neues Gesicht hier zu sehen.«
    Elsa ballte die Fäuste. »Wo ich herkomme, spielt keine Rolle.«
    Die heraushängende Zunge des Hundes und seine baumelnden Beine waren mit einem Mal zu viel für sie, genauso wie das mitfühlende Gesicht des Mannes inmitten all des toten Fells.
    »Ich bin Daniel Fossiter«, sagte er leise, »und es freut mich, Sie kennenzulernen.«
    »Elsa«, erwiderte sie spitz und wurde noch wütender, weil sie diesem grausamen Mann ihren Namen verraten hatte.
    »Ich sollte Ihnen vielleicht erklären, Elsa, dass diese spezielle Art von Hunden –«
    Sie hob abwehrend die Hand, eine Geste, die sie seit der Highschool nicht mehr angewendet hatte. Dort hätte diese jedem unmissverständlich klargemacht, dass Elsa das, was er zu sagen hatte, nicht hören wollte, doch hier auf dem weitläufigen Kirchplatz betrachtete Daniel Fossiter nur interessiert ihre Handfläche, als versuchte er, darin zu lesen. Verschämt machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte davon. Erst am anderen Ende der Straße drehte sie sich noch einmal um und sah, dass er ihr geduldig nachblickte, den Hund noch immer über die Schulter geworfen, als wäre er kein bisschen schwerer als Luft.
    Als sie Kenneths Haus erreichte, hatte sie sich noch nicht wieder beruhigt. Die Treppe zu ihrem Apartment führte an der geöffneten Tür seines Wohnzimmers vorbei. Drinnen lümmelte er auf dem Sofa und sah sich im Fernsehen ein Kricketspiel an. Er hatte die Vorhänge zugezogen, damit sich das Sonnenlicht nicht im Fernsehbildschirm spiegelte, aber es war so intensiv, dass es den Raum trotzdem erhellte und jede Oberfläche im Pfirsichton des Vorhangstoffs erstrahlen ließ.
    Kenneth hatte die Einrichtung schlicht gehalten: ein schmuckloses Bücherregal voller Almanache mit gelben Rücken und ein gepolsterter Hocker vor seinem niedrigen

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