Der Mann, der die Frauen belog - Roman
heute. Sie hatte sich ihr Notizbuch vorgenommen und hakte Posten auf einer Liste ab. Charles sah, dass viele Punkte noch nicht erledigt waren. Er trat ans Fenster und blickte auf die Straße hinunter. »Es spricht durchaus für mich, dass ich immer verliere, sagt Rabbi Kaplan.«
»Hat er dir auch verraten, warum?«
»Na, hör mal! Er wird sich hüten, seinen Ruf als Orakel aufs Spiel zu setzen!« Er sah einen Augenblick der vertrauten Gestalt in dem formlosen Wintermantel nach, die unten vorbeiging, und wandte sich dann zu Mallory um. »Aber vielleicht kannst du es mir sagen.«
»Es war ein Kompliment, Charles. Der Rabbi hält dich für einen grundehrlichen Menschen. Poker ist ein Spiel für Lügner. Du könntest mir morgen was von Slope und Duffy mitbringen. Ich habe sie um ein paar Sachen gebeten, die ich brauche und mit denen ich Coffey und Riker nicht belämmern möchte.«
»Bei der New Yorker Kriminalpolizei gibt es außer dir noch mehr Leute, Mallory. Schon mal was von Teamarbeit gehört?«
»So was Ähnliches hat Riker auch gesagt«, gab sie ungeduldig zurück. »Immer diese Belehrungen …«
Charles hütete sich, ein gutes Wort für Riker einzulegen, so sehr er ihn auch schätzte. Wenn Mallory auch nur den Eindruck hatte, dass man nicht auf ihrer Seite war, konnte sie sehr unangenehm werden. Bei jedem Gespräch mit ihr galt es, gefährliche Untiefen zu umschiffen. »Komm doch mit. Rabbi Kaplan sagt, du bist der ideale Zockertyp.«
»Geht nicht. Als ich dreizehn war, haben sie mich ausgesperrt.«
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, und durch die geöffnete Tür schob sich erst ein Staubsaugerschlauch und dann der dunkle Schopf von Mrs. Ortega. Als sie den Kater sah, blieb sie wie angewurzelt stehen. Im Geiste schien sie ihm schon den Pelz abzuziehen und eine Handtasche daraus zu machen. Eine gute Putzfrau hat mit Tieren nichts im Sinn. Vierbeiner haaren, ergo ist der einzig gute Vierbeiner ein toter Vierbeiner. Der Kater rieb sich an Mallorys Jeans, was Mrs. Ortegas Achtung vor einer Frau, die sie vor allem ihrer pingeligen Sauberkeit und Ordnungsliebe wegen schätzte, jäh sinken ließ. Knolle aber war, nachdem Mallory ihr zwanzig Dollar für katerbedingte Mehrarbeit in die Hand gedrückt hatte, offenbar akzeptiert.
In diesem Moment meldete sich der Türsummer. Charles setzte sich in Bewegung, aber Mallory hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.
»Wer ist es?«
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Riker.«
Er öffnete. Tatsächlich – da stand Riker in seiner ganzen vergammelten Pracht. Mallory sah Charles misstrauisch an. Dass man Henrietta Ramsharan aus dem dritten Stock an ihrem höflich leisen Klingeln und den Musiker aus dem Erdgeschoss am energischen Klopfen erkennen konnte, wusste sie auch, das war eben der persönliche Stil der beiden. Aber von Stil konnte wohl bei Riker keine Rede sein. Woher also hatte Charles gewusst, dass er es war?
»Hi, Charles!« Riker nickte Mallory zu und machte eine übertrieben tiefe Verbeugung vor Mrs. Ortega, die sich mit einer halblauten Bemerkung – hatte sie etwa »Scheißcop!« gemurmelt? – ins Nebenzimmer verzog.
»Du hast Charles vorher gesagt, dass und wann du kommst«, sagte Mallory vorwurfsvoll zu Riker und sah fragend zu Charles hinüber.
Der schüttelte lächelnd den Kopf. Dass er Riker vom Fenster aus hatte kommen sehen, gedachte er Mallory nicht auf die Nase zu binden. Nach diesem Durchbruch in der Kunst des Bluffens sah er der nächsten Pokerrunde recht optimistisch entgegen.
Riker ließ sich auf die Couch fallen, holte eine Handvoll zerknüllter Zettel aus der Manteltasche und versuchte, einen auf den Knien glattzustreichen. Es war ein Plan des Parks, auf dem an zwei Stellen gelbe Linien eingezeichnet waren.
»Heller hat jetzt genau festgestellt, wo Amanda gestorben ist, Mallory. Der Mann ist ein Genie. Er ist mit Bodenproben zum Landwirtschaftsministerium gegangen. Der Schmutz in der Wunde war voll von mikroskopisch kleinen Biestern, die in dem Waldstück, in dem wir Amanda gefunden haben, nicht vorkommen.« Riker schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und klopfte seine Taschen nach einem Streichholz ab. »Heller sagt, er schreibt eine Monographie drüber und stellt dich in der Danksagung ganz groß raus. Willst du dir den Tatort nicht mal ansehen?«
»Wozu?« Sie griff nach dem Blatt mit den gelben Markierungen. »Ich kann schließlich Pläne lesen.«
»Ich meine ja nur … Die meisten fahren gern mal zum
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