Der Mann, der die Frauen belog - Roman
geht aus dem Manuskript nicht hervor.«
»Das Persönlichkeitsprofil des Lügners passt auf alle Verdächtigen«, sagte Mallory. »Und bei allen geht es um einen hohen Einsatz, bei Richter Heart zum Beispiel um den Sitz im Obersten Gerichtshof. Andere Kandidaten sind schon an Kleinigkeiten wie einer Haschzigarette oder einem nicht angemeldeten Kindermädchen gescheitert. Ein einziger dunkler Punkt in seiner Vergangenheit könnte ihn die erhoffte Position kosten. Harry Kipling hat eine reiche Frau und einen Ehevertrag, der ihm kaum Luft zum Atmen lässt. Eric Franz war dabei, als seine Frau überfahren wurde, vielleicht hatte er dabei sogar seine Hand im Spiel.«
»Somit hätten wir einen Roman, den wir vor Gericht nicht verwenden können, aber keine hieb- und stichfesten Beweise. Bleibt der Kater. Aber falls es dir nicht gelingt, ihn so abzurichten, dass er dem Täter vor Gericht ins Bein beißt, ist er wertlos.«
»O nein.« Mallory warf dem Kater einen Blick zu, der kein Übermaß an Tierliebe verriet. »Der Kater und der Roman locken den Täter aus dem Bau. Danach muss ich ihn dazu bringen, sich selbst zu belasten, und das könnte schwierig werden.«
»Und nicht ungefährlich«, sagte Henrietta. »Wenn deine Theorie stimmt, hat der Täter schon einmal unter Beweis gestellt, dass er auch bereit ist zu töten, wenn er muss.«
»Ja, aber mein Täter hat im Gegensatz zu den meisten Psychopathen keine guten Nerven. Er hat das Verbrechen in Panik begangen, um ein anderes Delikt zu vertuschen.«
»Das kannst du nicht wissen«, wandte Henrietta ein. »Dass es kein vorsätzlicher Mord war, spielt keine Rolle. In seiner Phantasie kann er sie schon tausendmal umgebracht haben. Vielleicht ist es ein Monteur oder Wartungsingenieur, der sie nur von seiner Arbeit her kennt. Und sein Aussehen, sein Verhalten in der Öffentlichkeit verrät den Soziopathen nicht. Der Mann kann durchaus krankhaft veranlagt und gefährlich sein und trotzdem in seinem Umfeld als völlig normaler Mensch akzeptiert werden.«
»Ein Soziopath wird in seinem Umfeld nie als völlig normaler Mensch akzeptiert.«
»Doch, bestimmt«, sagte Henrietta ungewohnt hartnäckig. Aber dann dämmerte ihr wohl, dass hier jemand aus eigener Erfahrung sprach, und sie ließ das Thema auf sich beruhen.
»Wir wissen jetzt also, wer oder was er nicht ist«, sagte Mallory. »Wie ernst kann ich eine Lüge als Motiv nehmen? Wenn ich sämtliche Bewohner der Coventry Arms unter die Lupe nehmen würde, ließen sich bei allen irgendwelche dunklen Punkte finden. Aber was für eine Lüge treibt einen Menschen so weit? Er hat schon einmal die Nerven verloren. Ich will erreichen, dass es ihm noch mal passiert.«
»Käme auf die Lüge an«, sagte Henrietta. »Ein Mensch kann sein ganzes Leben auf Lügen aufbauen.«
»Aber welche Strippen soll ich ziehen? Wie bringe ich ihn zum Reden?«
»Wenn du ihm Angst machst, sagt er womöglich gar nichts. Besser ist es, ihn in Wut zu bringen. Eine Enthüllung im Zorn ist mehr wert. Wenn es der Täter war, der dem Kater das Tanzen beigebracht hat, ist vielleicht auch Lust an der Macht im Spiel. Machthunger ist der Ursprung von Frauenhass und Auslöser für viele besonders gewalttätige Verbrechen an Frauen. Wenn so ein Mensch bei einer Lüge ertappt wird, brennt ihm sehr schnell mal die Sicherung durch. Was für Typen neigen deiner Meinung nach besonders zu pathologischen Lügen?«
»Jeder Mensch lügt«, sagte Mallory.
»Wirklich jeder?«, hakte Charles nach.
»Du nicht, Charles, ich weiß. Aber du könntest es auch gar nicht, du hast nicht das Gesicht dafür. Moment, das nehme ich zurück. Du hast die Vase präpariert. Das war gewissermaßen eine stillschweigende Lüge.«
»Eine normale Testsituation.«
»Und?«
»Okay, eine stillschweigende Lüge. Ich wette, dass Helen nie gelogen hat.«
»Nur, wenn sie es gut mit jemandem meinte. Aber sie hat es mit so vielen Leuten gut gemeint …«
»Markowitz hat nie gelogen.«
»Der? Und ob! Er war ein Meisterlügner. Er hat den Bürgermeister belogen und den Polizeipräsidenten, bei jeder Pressekonferenz hat er das Blaue vom Himmel heruntergeschwindelt. Er –«
»Schon gut. Jeder Mensch lügt.«
Arthur, der Portier, las Zeitung, als Mallory mit Knolle auf dem Arm von der Garage her auf den Eingang der Coventry Arms zukam. In diesem Moment fuhr ein Taxi vor. Er setzte rasch die Brille ab und schob sie unter das Blatt. Beflissen lächelnd machte er die Tür des Taxis auf. Im Vorbeigehen
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