Der Mann, der die Frauen belog - Roman
herumärgern darf.«
»Hast du ihn schon gelöst?«
»Scherzbold!« Sie stand auf und stemmte eine Hand in die Hüfte. Der Blazer schlug auf, so dass man das Holster sah. »Wann erwartest du Henrietta?«
Charles kam nicht gleich zu einer Antwort, denn in diesem Moment stellte sich der Kater auf die Hinterbeine und fing an, zierliche Kreise zu drehen. Mallory verzog keine Miene. Demnach kannte sie das Kunststück schon.
»Ich glaube, nach dem Tanzen erwartet er eine Belohnung. So steht es in Amandas Roman«, sagte Charles, holte das dicke Manuskript aus dem Schreibtisch und blätterte das erste Kapitel durch. »Hier … ›Er hat meinem Kater das Tanzen beigebracht.‹ Und zwar in vier Tagen, an einem verlängerten Wochenende zu Anfang der Beziehung. Wobei wir nicht vergessen dürfen, dass ein Roman immer aus Dichtung und Wahrheit besteht. Aber der Kater tanzt, so viel steht fest.«
»An einem verlängerten Wochenende? Ich dachte, dass man zum Abrichten von Tieren viel länger braucht. Besonders bei Katzen.«
»Nicht, wenn man weiß, wie’s gemacht wird, und auch vor Grausamkeiten nicht zurückschreckt. Wahrscheinlich hat er ihn hungern lassen.«
Mallory drehte dem immer noch tanzenden Kater den Rücken zu. »Für sein Futter braucht er sich jetzt nicht mehr zu strapazieren.« Wie auf Befehl stellte der Kater sich wieder auf seine vier Beine.
»In dem Roman steckt aber wirklich ein gutes Stück Wahrheit, Mallory. Hör dir das an: ›New York ist schön, wenn es verschneit ist – solange du nicht überfallen wirst, in eine Schießerei unter Drogendealern gerätst, von einem Betrunkenen überfahren, von deinem Hauswirt verklagt, vom Steuereintreiber bedroht, von dem großmäuligen Nachbarn schikaniert, von seinem Pitbullterrier gebissen, von Ratten mit ausgewachsenen Katzen im Maul überrascht, von Tauben im Tiefflug attackiert, von Mäusen und Kakerlaken geplagt, von der Buchhaltung deiner Firma beschissen wirst … Sobald das Kind da ist, ziehe ich mit ihm irgendwohin, wo es die ganze Zeit schön ist und wir keine Angst zu haben brauchen.‹
Das Kind kommt erst in den letzten Kapiteln vor. Emotional hat die Heldin offenbar nichts mehr mit dem Mann im Sinn. Ihr geht es nur um das Kind. Für das Kind plant und lebt sie.«
Mallory nickte. »Das spräche für Harry Kipling oder Richter Heart, die sind beide zeugungsfähig. Vielleicht muss ich den Blinden doch streichen.«
»Den Blinden? Soll das ein Witz sein?«
»Ein Berufsunfall. Er war Journalist und hat einen Haufen Geld als Entschädigung bekommen.«
»Dass dich das Geldmotiv reizt, kann ich verstehen.« Es war auch das Lieblingsmotiv von Markowitz gewesen. »Aber der Mann ist blind !«
»Als politisch korrekter Mensch darfst du nicht davon ausgehen, dass Blinden aufgrund ihrer Behinderung kein Mord zuzutrauen ist.«
»Ein Blinder wäre nie zum Tatort zurückgekehrt. Er merkt ja nicht, ob er beobachtet wird.«
»Und wenn er in einem Anfall von Panik den Mord begangen und dann einen Komplizen zum Putzen in die Wohnung beordert hat?«
»Im Ernst?«
»Nein. Ich glaube nicht, dass es ein Blinder war. Eine Frage an den Experten für außergewöhnliche Begabungen: Was für Talente bilden sich bei einem Menschen heraus, der das Augenlicht verliert?«
»Dass Blinde besser riechen oder schärfer hören können, weil sie nichts sehen, ist ein Ammenmärchen. Sie werden nur weniger abgelenkt und können sich deshalb mehr auf ihre anderen Sinne konzentrieren. Hat er einen Blindenhund?«
»Ja. In den Conventry Arms gibt es überhaupt keine Familie ohne Hunde.«
»Blinde laufen nicht so oft in Glasscheiben, dafür sorgen ihr Stock und der Hund. Ein guter Blindenhund behält auch im Verkehr seinen Schutzbefohlenen im Auge und zieht ihn von Hindernissen weg. Das wahre Talent in so einer Partnerschaft ist der Hund.«
»Und wieweit kann man sich an Blindheit gewöhnen?«
»Manche Leute entwickeln das zu einer Kunstform. Sie schauen dir direkt ins Gesicht, um den Eindruck zu erwecken, sie könnten dich sehen.«
»Das macht Eric Franz nicht. Aber wie er sich über geschärfte Sinne und die Weisheit der Natur ausgelassen hat, das war schon sehr penetrant. Und er kann quer durch einen Raum voller Menschen gehen, ohne jemanden mit dem Stock zu streifen.«
»Interessant.«
»Finde ich auch. Deshalb habe ich ihn noch nicht gestrichen. Somit habe ich einen Blinden, einen Frauenschinder und einen schönen Mann, der mit einer hässlichen Frau verheiratet ist. Die
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